Kritik zu Requiem for a Dream
Darren Aronofsky verfilmt Hubert Selbys Drogenroman
Nachdem alle Illusionen ihres Lebens verbraucht sind, sitzt der alternden Witwe Sara Goldfarb (Ellen Burstyn) in ihrem kleinen Brighton-Beach-Apartment als letzter Gesellschafter nur noch der Fernsehapparat gegenüber - wenn auch nicht immer. In einem wiederkehrenden Ritual holt ihr drogenabhängiger Sohn Harry (Jared Leto) das Gerät ab, um es beim Pfandleiher zu versetzen, bei dem Sara es dann wieder einlösen muss. Saras Sucht nach der TV-Show für Menschen, die ihr Übergewicht verlieren wollen (Motto: "Kein rotes Fleisch! Kein weißer Zucker!"), wird nur übertroffen von ihrer Gier nach Süßigkeiten aller Art. Als sie zur Kandidatin für eine der nächsten Shows erkoren wird, geht Sara ihr Gewichtsproblem radikal an: Pillen am Morgen, am Mittag und am Abend lassen sie rapide abmagern, richten aber auch Schäden in ihrer Psyche an, die sie mit noch mehr Pillen bekämpft. Harry versucht unterdessen mit seiner neuen Freundin Marion (Jennifer Connelly) und seinem Freund Tyrone (Marlon Wayans), beide ebenfalls abhängig, ins Drogengeschäft einzusteigen, um die eigene Sucht zu finanzieren.
Regisseur Darren Aronofsky lässt von Beginn an keinen Zweifel daran, dass die Illusionen seiner vier Protagonisten nichts als Selbstbetrug sind. Sucht wird mit größerer Sucht bekämpft, und als Harry und Tyrone endlich etwas Stoff zum Dealen zusammen haben, müssen sie zunächst dessen Qualität testen. Als nichts mehr zum Verkaufen da ist, steht nur noch Marions Körper zur Finanzierung des Rauschgifts zur Verfügung.
Wie in seinem Debüt Pi - Der Film (1997) bedient sich Aronofsky im Arsenal des Experimental- und Undergroundfilms, um dem Zuschauer diesen Suchtkreislauf nahe zu bringen und ihm zugleich die Wahrnehmungsperspektive seiner Protagonisten aufzuzwingen. Deren drogeninduzierter Hyperaktivität wird mit den Mitteln des Zeitraffers und des Splitscreen, mit harten Schnitten, sich auflösenden Bildern oder extremen Weitwinkelsequenzen Ausdruck verliehen. Der aggressive Soundtrack, in den sich nur für kurze Ruhephasen Klänge des Kronos-Quartetts einschleichen, unterstreicht die Bedrohung, als die sie ihre Umgebung wahrnehmen. Diese Umgebung bilden vorwiegend geschlossene Räume, Saras klaustrophobe Wohnung, Harrys Drogengruft, die New Yorker U-Bahn und schließlich die Krankenbetten, auf denen am Ende alle landen. Aronofsky konfrontiert in einer furiosen Schlusspassage wie in einer Zusammenfassung noch einmal die Visionen seiner Protagonisten mit ihrer unsäglich elenden Realität, in der Saras Abtauchen in den Wahn noch als das gnädigste Schicksal erscheint. Die wenigen Außenaufnahmen spiegeln wie eine Seelenlandschaft die Befindlichkeit der Protagonisten, vor allem die verlassenen Überreste des Vergnügungsparks von Coney Island im New Yorker Stadtteil Brooklyn, die wie verrostete Überbleibsel vergangener Glücksverheißungen in einen kalten Winterhimmel ragen. Seine Ästhetik der Innenräume, die Konzentration auf die Protagonisten, rückt die Handlung aber zugleich aus näher definierten sozialen Zusammenhängen heraus. Wenn man Pi für einen Film aus den siebziger Jahren halten konnte, wie Frank Arnold in seiner Kritik schrieb (epd Film 4/99), so dominiert in Requiem for a Dream der Eindruck einer gewissen Zeitlosigkeit.
Strukturiert wird der Drogenreigen von den immer wieder gleichen, kurzen Schnittfolgen, die, wie Comicbilder oder ein Videoclip, das Rauchen von Crack, das Schnupfen von Kokain, das Aufkochen, Aufziehen und Einspritzen des Gifts zeigen, die im Flash geweitete Pupille. Ebenso mechanisch-routiniert die Bildfolge, wenn Sara immer größere Mengen der bunten kleinen Pillen einwirft, während der Kühlschrank zu einem bedrohlich polternden Monster mutiert. Aronofsky gelingt es, trotz zum Teil hochstilisierter und durchkomponierter, zum Teil auch bildverliebter Sequenzen, eine Ästhetisierung des Elends zu vermeiden. Seine Zumutungen gehen nicht selten an die Grenze des Erträglichen, vor allem wenn Harrys zerstochener, entzündeter Arm immer wieder ins Blick gerückt wird oder wenn er drastisch Marions sexuelle (in der US-Fassung entfernte) Demütigungen vorführt. Die Intensität des Films verdankt sich - trotz des enormen Aufwands an experimentellen und technisch aufwändigen Mitteln - der radikalen Präsenz seiner Schauspieler, allen voran die inzwischen 70-jährige Ellen Burstyn, die der Sara Goldfarb gerade in deren Gespinst von Lebenslügen eine tragische Würde verleiht. Die übrigen Schauspieler nutzen den Reiz ihrer Jugendlichkeit, um der sozialen wie physischen Zerstörungskraft der Drogen ein Gesicht zu geben.
Requiem for a Dream, gedreht nach der gleichnamigen Erzählung von Hubert Selby Jr. ("Last Exit to Brooklyn") aus dem Jahr 1978, spielt in seinem Titel nicht zufällig auf den amerikanischen Traum an, demzufolge im Land der unendlichen Verheißungen jedem alles möglich sollte. Der Film mag ein Abgesang auf diesen Traum sein, er dementiert ihn jedoch nicht gänzlich: Für sein Glück ist in Amerika jeder selbst zuständig, und für sein Unglück eben auch.
Kommentare
Trailer, der Lust auf mehr macht.
Hallo.
Also ich hab' da einen viel besseren Trailer. Wer den gesehen hat, will auch den Film sehen. Ist meine Meinung.
https://www.youtube.com/watch?v=uin2V2GBLxs
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