Kritik zu Poseidon
Wolfgang Petersens Remake des Katastrophen-Klassikers »Poseidon«
Die Welle ist der Star in Wolfgang Petersens »Poseidon« – mehr noch als in Ronald Neames Original von 1972. In den siebziger Jahren mussten sich große Special Effects die Credits noch mit den Schauspielern teilen. Diese Zeiten sind längst vorbei. Im Blockbuster-Zeitalter zählen allein Schauwerte, und dagegen können keine alternden Stars wie Kurt Russell und Richard Dreyfuss und schon gar nicht ein vergleichsweise unbekannter Josh Lucas etwas ausrichten. Seinen Höhepunkt erreicht Petersens Film also sehr früh, nach gerade mal 20 Minuten.
War der Tsunami im vergangenen Jahr aufgrund mangelnder Bildmächtigkeit massenmedial kaum verwertbar (wohin man auch zappte, das Ausmaß der Katastrophe schien am heimischen Bildschirm einfach nicht nachvollziehbar; das insgeheime Bedauern darüber war der Berichterstattung förmlich anzumerken), so arbeiteten Petersens Tricktechniker erfolgreich daran, für dieses Versäumnis zu entschädigen. Mehrgeschossig rollt das Monstrum von Welle an die Poseidon heran, die Kamera sitzt dabei wie in einem Surf-Film spektakulär auf dem Kamm und blickt herunter auf die Menschen. Da treibt es sogar den suizidalen Dreyfuss, der gerade sein Bein über die Reling geschwungen hatte, zurück ins Innere des Schiffes, wo die Passagiere auf das neue Jahr anstoßen. Aber es ist zu spät. Kurz darauf treibt die Poseidon kopfüber auf dem Atlantik, während sich eine Hand voll Überlebender durch den angeschlagenen Koloss an die Wasseroberfläche durchzuschlagen versucht.
»Die Höllenfahrt der Poseidon« (The Poseidon Adventure) gehörte zu den Filmen, die Anfang der siebziger Jahre den schleichenden Übergang vom klassischen zum postklassischen Hollywoodkino markierten. Der Erfolg von Neames Film an den Kinokassen erzeugte eine Welle von Katastrophen- und Kriegsfilmen mit Starauftritten im Minutentakt. Die Originalbesetzung spiegelte den Generationenwechsel sehr schön wider: Auf der einen Seite Gene Hackman, selbst nicht mehr der Jüngste, aber nach »French Connection« mit "New Hollywood"-Meriten. Ihm gegenüber Haudegen Ernest Borgnine, das Hollywood-Urgestein. Ein sehenswerter Clash.
Petersens Remake fällt trotz dieser Traditionslinie überraschend geschichtslos aus. Sein Poseidon-Film könnte heute wie vor 50 Jahren spielen. Wirklich zeitgemäß ist allein der Auftritt von Black-Eyed-Peas-Sängerin Fergie als Bord-Chanteuse. Al Kashas Hippie-Schnulze "The Morning After", 1973 immerhin mit dem Oscar ausgezeichnet, erlebt dankenswerterweise keine modische Auffrischung. Gleichzeitig besitzen Petersens Figurenkonstellationen nicht die Camp-getränkte Dringlichkeit des Originals (Stella Stevens als Ex-Hure war eine so erfrischende Ergänzung zum machistischen Gespann Hackman-Borgnine). Damit geht »Poseidon« auch eines der eindringlichsten Elemente von Neames Film ab: das Manisch-Missionarische, verkörpert durch Hackmans Ex-Reverend, der als Akt der Absolution buchstäblich seine Schäfchen ins Trockene zu bringen hatte. Hackmans Vertretung Josh Lucas dagegen ist eine Spielernatur, für den die Flucht an die Oberfläche so etwas wie die Herausforderung seines Lebens darzustellen scheint. In diesem Sinne erinnert »Poseidon« immer wieder an ein Computerspiel, das von Level zu Level schwieriger wird. Petersen stellt seine Figuren vor immer komplexere technische Hindernisse, sein Film läuft mechanisch wie ein Uhrwerk ab. Mit 98 Minuten Laufzeit ist er sogar kürzer als das Original geraten.
Ermüdungserscheinungen erklären sich sicher auch damit, dass man in den letzten Jahren einfach zu viele Filme wie »Poseidon« gesehen hat, auch von Wolfgang Petersen selbst (»Der Sturm«). Der technische Zustand seiner Poseidon ist dabei symptomatisch für den ganzen Film. Wie das Schiff ist auch Petersens Remake ein glattes, technisch hochgerüstetes Vehikel von überdurchschnittlichem Unterhaltungswert zwar – doch im Vergleich mit der verrosteten, unter dem enormen Wasserdruck ächzenden Schüssel in Neames Original mangelt es ihm entschieden an Charakter. Der Sinn dieses Remakes bleibt am Ende ebenso unergründlich wie die Frage, warum die Besatzung eines solchen High-End-Luxusliners wie die Poseidon nicht rechtzeitig vor der mörderischen Springflut hätte gewarnt werden können.
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