Kritik zu Photograph
Aus einer Handvoll Rom-Com-Standards mischt Ritesh Batra eine zärtliche Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der Klassenunterschiede im Indien von heute
Bereits in seinem erfolgreichen Erstling »Lunchbox« erzählte Ritesh Batra eine Liebesgeschichte einfacher Leute in Mumbai. Nach zwei Produktionen in Großbritannien bzw. den USA ist er nun in seine Heimatstadt zurückgekehrt, und abermals geht es um eine Romanze, die der Zufall initiiert: Der arme Straßenfotograf Rafi macht jeden Tag vor dem »Gateway of India« Aufnahmen von Touristen. Den Großteil seiner Einkünfte schickt er an seine Großmutter auf dem Land, die ihm in den Ohren liegt, er müsse endlich eine passende Frau finden. Rafi schickt ihr schließlich das Foto einer jungen Frau, das er noch auf der Speicherkarte seiner Kamera hatte. Die hübsche Unbekannte ist Miloni, und sie irrt ähnlich verloren wie Rafi durchs Leben, obgleich ihr als Musterschülerin einer Wirtschaftsprüferschule die Welt offen zu stehen scheint. Es kommt, wie es kommen muss: Rafis Großmutter kündigt ihren Besuch an, sie will unbedingt die junge Dame kennenlernen. Und Rafi spürt Miloni auf und fragt sie, ob sie nicht kurzzeitig seine Freundin spielen könne. Bei den nun folgenden gemeinsamen Unternehmungen kommen sich die beiden zwangsläufig näher...
So weit, so erwartbar. Was »Photograph« dann aber doch interessanter macht als seine vorhersehbaren Rom-Com-Wendungen vermuten lassen, ist sein genauer wie empathischer Blick auf die unterschiedlichen Milieus, in denen seine Protagonisten sich bewegen. Milonis urbaner Mittelstand mit Hausangestellten, Karriereperspektiven und entsprechenden elterlichen Erwartungen trifft auf Rafis Unterschicht der Arbeiter, in der unverheiratete Männer sich die wenigen Quadratmeter einer Bruchbude teilen.
Die eigentlich unmögliche Liebe zwischen verschiedenen Kasten spiegelt der Film in authentischen Szenenbildern und zahlreichen, sehr stimmig gewählten Details. Beim Besuch in einem Unterschichtenkino schreckt beispielsweise Miloni als Einzige auf, als eine Ratte um ihre Füße streicht – für Rafi wie für die anderen Besucher kein besonderes Vorkommnis.
Die Auseinandersetzung des Films mit dem Kastensystem ist eher beiläufig und gelassen, wie auch die Erzählhaltung insgesamt entspannt ist. Einem kämpferischen Ton gegen eine verkrustete Gesellschaft zieht »Photograph« die zärtliche Hinwendung zu seinen Hauptfiguren vor. Rafi und Miloni sind dabei zwar nicht besonders facettenreich, doch äußerst liebevoll gezeichnet, und insbesondere das stets nachdenklich-melancholische Spiel Sanya Malhotras als Miloni prägt sich ein. Angesichts einiger erzählerischer Ellipsen entsteht stellenweise sogar der Eindruck, Ritesh Batra interessiere sich gar nicht für die Geschichte, die er erzählt, sondern ausschließlich für diese Figuren und deren Umfeld. So sticht die feinsinnige Gestaltung von Gesprächsszenen wie zwischen Rafi und seinen Mitbewohnern oder Miloni und ihrer Hausangestellten hervor, in denen die Gegensätze der Kasten, der Geschlechter, von Stadt und Land und von schönen und schädlichen Traditionen verhandelt werden. Auf poetische Weise gelingt es dem Film da sogar in einigen Momenten, ein Gefühl von Nostalgie mit dem dringenden Wunsch nach Veränderung zu versöhnen.
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