Kritik zu Oben ist es still
Eine späte Coming-of-Age-Geschichte: Die niederländische Filmemacherin Nanouk Leopold verfilmt mit gekonnter Zurückhaltung einen Roman über einen schweigsamen Bauern
Wo es nichts zu reden gibt, da ist nicht viel zu sagen. Der Bauer Helmer (Jeroen Willems) spricht mit seinem kranken Vater (Henri Garcin) in einer Weise, die nicht auf Kommunikation im Sinne eines Austauschs von Wörtern aus ist, sondern auf Informationsdurchreiche in eine Richtung: Der Viehhändler lässt grüßen, er geht nach Neuseeland mit seiner Frau, und der Milchmann zieht auch fort.
»Oben ist es still« von Nanouk Leopold, nach einem Roman von Gerbrand Bakker, ist ein Film der Abschiede: Der Vater von Helmer liegt im Sterben, und die Landwirtschaft tut es in gewisser Weise auch. Die Leute gehen weg, oder sie sterben wie Arie mit 58 an Herzinfarkt. Ein Film, in dem zwei Beerdigungen vorkommen, müsste fast zwangsläufig eine Komödie sein; anders schiene die Serialität ritueller Trauer nicht auszuhalten.
Leopolds Film ist keine Komödie, aber er erzählt, trotz des bedrückenden Umfelds, die Geschichte eines Anfangs – von reifenden Gefühlen und ruckartigen Bewegungen zur Emanzipation. Man muss sich diesen Prozess geradezu meteorologisch vorstellen, als ein Schmelzen und ein allmähliches Aufblühen. Helmer leidet unter seinem Vater, oder vielmehr: er hat gelitten; unter Schlägen und unter der verweigerten Liebe, die dem Bruder Geert vielmehr galt als ihm, Helmer, dem »verkehrten« Sohn, wie es einmal heißt. Nun ist der Vater auf Helmer angewiesen, und sein Ende ist der Anfang von der Befreiung Helmers. Der trägt den Vater dem Himmel entgegen, wenn er, damit beginnt der Film, den bettlägerigen alten Mann eine Etage höher unterbringt.
Der Anfang für Helmer, von dem der Film handelt, meint auch seine sexuelle Emanzipation. Helmer strebt dem Ende eines Versteckspiels zu: Verbirgt er sich zuerst hinter trüben Glas, wenn der Milchmann (Wim Opbrouck), der scheu Helmers Nähe sucht, seine Runde dreht, so wird die Rückkehr des Milchmanns am Ende fast strahlend begrüßt.
Die niederländische Filmemacherin Nanouk Leopold (»Brownian Movement«) beschreibt in »Oben ist es still« in reservierter Form tiefe Gefühle. Die Kamera will von den Darstellern nicht mehr als kleine Gesten, Blicke, die ihren Gegenstand nicht treffen, Beobachtungen von fern oder aus subjektiver Perspektive. So ist ein zarter Film entstanden in einem Umfeld, das von Härte geprägt ist: Das Sterben der Landwirtschaft meint hier das Ende oder zumindest die Öffnung eines Diktats zum Tun, ist doch der Bauernhof der Ort, der durch den Takt der Zyklen keinen Raum vorsieht für so etwas wie Emanzipation. Helmer kann dem Vater seine Zuneigung zum Milchmann (»Er hat sehr schöne Hände «) erst in den Schlaf hinterhersagen.
Film eines Abschieds ist »Oben ist es still« noch auf einer anderen Ebene geworden: Jeroen Willems, einer der bekanntesten niederländischen Schauspieler, ist im vergangenen Dezember mit nur 50 Jahren gestorben.
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