Kritik zu No Other Land
Der Dokumentarfilm wurde auf der Berlinale mit zwei Preisen ausgezeichnet und löste bei der Bärenverleihung einen Eklat aus: instrumentalisiert für ein politisches Statement, das Israel als »Apartheid«-Staat denunzierte. Jetzt kommt »No Other Land« bei uns ins Kino. Zeit, genauer hinzuschauen
Es fallen nicht viele Worte, als der israelische Journalist Yuval Abraham und der palästinensische Aktivist Basel Adra einander im Film zum ersten Mal begegnen. »How many homes remain in this village?«, fragt Abraham. Darauf Adra: »Few remain.« Und dann ist der »human rights Israeli« auch schon mittendrin im Kampf ums Land. Wenige sind übrig . . . Was heißt das? Die Unschärfe ist typisch für den Film – und eins seiner Probleme. »No Other Land« wurde zwischen 2019 und Oktober 2023 in einer Region im Westjordanland gedreht, die sich über Jahrzehnte zu einem politischen Hotspot des Konflikts zwischen der israelischen Armee, der Siedlerbewegung und den ansässigen Palästinensern entwickelt hat: Die Lage ist kompliziert, und die ideologische Färbung vieler Stellungnahmen macht sie nicht übersichtlicher.
Masafer Yatta ist eine Agglomeration palästinensischer Dörfer in einer kargen Hügellandschaft, die im Sechstagekrieg von Israel besetzt, um die Wende zu den 80ern zum Truppenübungsgelände erklärt und später in den Oslo-Verträgen vorläufig als Staatsgebiet ausgewiesen wurde. Seit Ende der 90er kommt es zu Zwangsräumungen und zur Zerstörung palästinensischer Bauten. Ein 20jähriger Prozess am Obersten Gericht – nicht unser Gericht, tut der Film die verzwickte Rechtslage in den besetzten Gebieten ab – endete 2022 zugunsten der Israel Defense Forces (IDF) mit der Begründung, es habe früher keine dauerhaften Siedlungen hier gegeben, auch seien die Kläger zum großen Teil außerhalb der Area gemeldet. Die lebhafte palästinensische Bautätigkeit der letzten Jahrzehnte wäre somit illegal. Mit dem Urteil und erst recht seit dem Massaker vom 7. Oktober hat sich die Situation verschärft; ein Beleg für die unbezweifelbare, zunehmende Siedlergewalt ist in »No Other Land« per Epilog zugefügt. Von der Räumung betroffen sind über 1000 Menschen. Aus der Perspektive der Palästinenser und der zahlreichen internationalen Organisationen, die in Masafer Yatta engagiert sind, handelt es sich hier um Kriegsverbrechen einer Besatzungsmacht, eine ethnische Säuberung.
Der Film macht sich diese Haltung zu eigen: Er ist radikal parteiisch und mit seiner rissigen Montage, den suggestiven Close-ups und Nachtaufnahmen höchst immersiv. Yuval Abraham folgt den Spuren von Basel Adra und seiner Familie, die seit langem gegen die Besatzung kämpft. Ein wiederkehrendes Muster liefern die Proteste: Sobald Armee und Bagger anrollen, machen sich die Aktivisten aus der Umgegend – Haus und Tankstelle der Adras liegen offenbar nicht im Sperrgebiet – auf den Weg, um Widerstand zu leisten. Man sieht Gedränge und Handgreiflichkeiten, Väter, Mütter und Kinder, die Habseligkeiten bergen, sich den Räumkommandos entgegenstellen, die flüchten – in Höhlen, die früher den Schafhirten der Gegend als Unterkünfte dienten.
Ein Gefühl für die Topographie oder die Lebensweise der Menschen stellt sich nicht ein. Es kommen nur zerstreute, kaum ausgebaute Häuser ins Bild; ein Spielplatz und ein Hühnerstall, die von den IDF planiert werden, liegen völlig isoliert in der Landschaft. Die Handkamera übernimmt bereits die Haltung der Verfolgten, mit Reißschwenks und Fahrten über den Boden, bevor sie den Schauplatz einer Auseinandersetzung erreicht, kaum eine Situation wird in ihrer Entwicklung gezeigt: Der Zuschauer soll sich hier verlieren. Auch wer filmt, ist oft unklar – Abraham, Adra oder die Kamerafrau Rachel Szor? –, und das Originalmaterial mischt sich nahezu unentwirrbar mit Familienvideos und News-Bildern. In einer zentralen Sequenz etwa, die eine Rekapitulation des viel kolportierten Falls Harun Abu Aram eröffnet – der junge Mann wurde 2021 beim Kampf um einen Generator angeschossen und erlag später seinen Verletzungen –, suggeriert die Montage mit überlappendem Dialog, Abraham und Adra hätten das Geschehen direkt begleitet; tatsächlich ist das wichtigste Handykamera-Fragment Teil eines Videos, das möglicherweise von einem Nachbarn gedreht wurde und seit langem im Netz kursiert – aber auch keinen gültigen Beweis für den Ablauf der Tat liefert. Darauffolgende Aufnahmen der verzweifelten Mutter und von Aram, gelähmt im Krankenhaus, stammen aus dem Fundus des arabischsprachigen Senders Alghad und der Nachrichtenagentur der palästinensischen Autonomiebehörde.
Am Ende muss man die Unschärfe der Inszenierung wohl strategisch nennen. Sie macht »No Other Land« nicht hilfreich in der berechtigten und schmerzhaften Debatte um die Siedlungspolitik, die in der israelischen Gesellschaft selbst ja mit größter Vehemenz geführt wird: Den monolithischen Block aus Armee, Staat und Siedlern, den der Film vorstellt, gibt es nicht. Und angesichts der Tatsache, dass die Filmemacher auch schon mal ins Geschehen eingreifen, indem sie Konfrontationen mit den Truppen forcieren, stellt sich die Frage, ob »No Other Land« die Bilder nicht erst produziert, die seiner Kampagne dienen. Die Preise der Berlinale waren keine für einen herausragenden Dokumentarfilm; sie zeichneten eine politische Tendenz aus.
Kommentare
No Other Land
Guten Tag, wir möchten den film gerne in unserem Kino Comet Haus Zoar zeigen. Wer verleiht diesen Film oder hat die Rechte
Bitte Info an hjb@cccmg.de 0171 750**** [Nummer von der Redaktion entfernt]
"[V]erzwickte Rechtslage"
Eine große Schande eine solche Rezension zu "No Other Land" zu veröffentlichen, die es dermaßen wagt, in Gefilde von offensichtlich völliger Ahnungslosigkeit vorzudringen. Kaum zu glauben, dass eine deutsche Redakteurin auf die "verzwickte Rechtslage" verweist, wenn es darum geht, auf nach internationalem Recht illegal besetztem Gebiet eine palästinensische Siedlung plattzumachen, weil Israel diese als illegal versteht. Das Ganze wohlgemerkt in einer Rezension, die ausgerechnet damit endet, Israel eine großartige Meinungsvielfalt ("schmerzhafte Debatte") zum Thema zu attribuieren.
No other Land - Ihre Kritik
Dass Lügen ausgezeichnet wurden ist erschütternd. Es ist ein hetzerischer, lügnerischer Film. Auch Einleitung zum Kritiktext ist unhaltbar. Der Fall Masafer Yata ist mir sehr vertraut. Das Gericht hatte auch anhand Luftaufnahmen festgestellt, dass es im von der Armee für Uebungen ausgeschiedenen Gebiet keine permanente Besiedlung des fraglichen Gebiets gab. Deshalb gab es der Armee recht. Das ist der zentrale Punkt, der hier zerredet wird und im Film - der zentrale Fehler - schon gar nicht erwähnt wird. D.h. nur auf der Basis von Lügen konnte dieser gemacht werden. Das Gericht hatte auch festgestellt, dass fast falle der betroffenen Palästinenser einen Wohnsitz in Yatta hatten. Es ist leider gang und gäbe, dass die Palästinenser in der Zone C auf staatl. Land illegal tausende von Häusern gebaut haben und es weiter tun, es ist die Strategie von Abbas, die Zone C einzunehmen, in völliger Verletzung der Oslo-Abkommen. Zudem werden systematisch archäologische Stätten beschädigt oder zerstört. Als das Gericht angeordnet hatte, dass während der Untersuchungen die Armee den Abriss von Häusern stoppen müsse und die Palästinenser ihre Bauaktivitäten, hielten sich letztere nicht daran. Es ist ein klar rechtlicher Fall, weil die Palästinenser sich nicht an Recht gehalten haben. Auch bei uns kann nicht einfach auf öffentlichem Grund gebaut werden. Doch hier wird alles verdreht. Der Fall hat auch nicht mit der sog. Siedlergewalt zu tun, sonst müsste man auch die seit dem 7. Okt. 23 über 5,500 Attacken gegen Juden im Westjordanland erwähnen. In den Zonen A und B stünden Palästinensern übrigens genügend freie Flächen zur Verfügung. Mir liegt ein geheimer Vertrag der EU vor, in dem diese beschliesst, den illegalen Bau in der Zone C durch Palästinenser zu finanzieren. Das Ganze hat System, Teil es israelfeindlichen Verhaltens der Nationen, völkerrechtlich unhaltbar.
Was heisst «nicht unser Gericht»? Zu erwähnen ist, dass das politisch links stehende Oberste Gericht oft auffallend palästinenserfreundlich urteilt. In Masafer Yata waren die Beweise offenbar zu klar.
Relevanter Filmbeitrag
Der Film ist doch insofern transparent, als dass er von Anfang an klarstellt, dass er die Perspektive der palästinensischen Bewohner des Westjordanlands einnimmt. Mehrfach wird gesagt, dass fast alle Bewohner von Masafer Yatta Aktivisten seien, die mit Mitteln des gewaltfreien Widerstandes um das Recht kämpfen, in eben jenem Land leben zu dürfen anstatt in die Städte zurückweichen zu müssen.
Dabei geht es im Film niemals um Israel an sich. Das Existenzrecht Israels wird zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. Gezeigt werden einfache Menschen, die in einer ländlichen Region im Westjordanland leben wollen und sich dabei der israelischen Militärbesatzung widersetzen, welche diese Region zu einer Schießzone deklariert hat.
Streitpunkt vor Gericht ist, ob die Vorfahren der Menschen dort in den Jahrzehnten vor 1980 sesshaft oder als Bedouinen lebten. Die israelische Zeitung Ha'aretz berichtet, dass diese Zone 1981 mit dem ausgewiesenen Ziel von Ariel Sharon errichtet wurde, eine weitere Besiedelung des Gebiets zu verhindern:
https://www.haaretz.com/israel-news/.premium-40-year-old-document-reveals-ariel-sharon-s-plan-to-expel-1-000-palestinians-1.9057519
In Archivaufnahmen ist im Film zu sehen, wie es durch eben jenen gewaltfreien Widerstand gelang eine Schule zu errichten, welche internationale Anerkennung fand und sogar vom damaligen britischen Premierminister Tony Blair besucht wurde. Dies wird Bildern aus der Gegenwart entgegengestellt, in denen die Schule abgerissen wird.
Auch wenn der Film natürlich nicht alle Sichtweisen beleuchtet, halte ich ihn trotzdem für sehenswert, da gerade die Perspektive dieser Aktivisten ansonsten schnell untergehen könnte. Ist es nicht auch gerade Aufgabe des Kinos ein Licht auf jene zu werfen, welche selbst über wenig Macht verfügen?
Im letzten Teil des Films zeigt der Film Aufnahmen von vermummten, bewaffneten Siedlern, welche Dörfer in Masafer Yatta angreifen und Menschen von dort gewaltsam vertreiben. Teilweise sind israelische Soldaten neben ihnen stehend zu sehen. Der Cousin des Co-Regisseurs und Protagonisten Basel Adra wird dabei von einer vermummten Person erschossen. Allein die Dokumentation solcher Verbrechen macht den Film doch schon relevant.
Auch die Beleuchtung eines Zweiklassensystems, bei dem israelische Fahrzeuge mit grünem Nummernschild auf allen Straßen fahren dürfen, während palästinensische Fahrzeuge mit gelbem Nummernschild nur auf bestimmten Straßen fahren und die ausgewiesenen Gebiete nicht verlassen dürfen, fand ich interessant. Palästinensischen Menschen ist es auch nicht erlaubt israelische Fahrzeuge zu fahren.
Schlussendlich zeigt der Film aber darüber hinaus die Möglichkeit einer Freundschaft zwischen israelischen und palästinensischen Menschen auf. Dies empfinde ich als einen echten Hoffnungsschimmer.
Der Film und diese Kritik haben mich dazu gebracht, selbst mehr über Masafer Yatta zu lesen.
-Die C-Gebiete, in denen Masafer Yatta liegt, wurden 1995 als Teil des Interimsabkommens Oslo II deklariert und sollten "schrittweise unter palästinensische Gerichtsbarkeit gestellt" werden.
-Die C-Gebiete machen knapp 2/3 des gesamten Westjordanlandes aus und stellen das einzige zusammenhängende Areal der Region dar, welches zudem reich an natürlichen Ressourcen ist.
-Baugenehmigungen sind für palästinensische Menschen dort fast unmöglich zu erhalten, während umgebende israelische Siedlungen wachsen und keinen Abriss zu fürchten haben.
-2015, noch während der Obama-Präsidentschaft, betonte US-Außenminister John Kerry gegenüber der Presse, "dass zentrale israelische Vorgehensweisen - darunter die Kontrolle über die C-Gebiete, die Siedlungstätigkeit und die Zerstörung von Häusern - die Region vom Frieden abbringen würden".
-Die 2022 gerichtlich erlaubte Umsiedlung von etwa 1200 palästinensischen Menschen aus Masafer Yatta wurde von den Vereinten Nationen als mögliches Kriegsverbrechen eingestuft.
-Das Urteil wird von den dort ansässigen Menschen auch deshalb als parteiisch kritisiert, weil einer der Richter, David Mintz, selbst in Dolev lebt, einer 1983 gegründeten israelischen Siedlung im Westjordanland, die international mehrheitlich als völkerrechtswidrig eingestuft wird.
-Die EU verurteilte durch den Europäischen Auswärtigen Dienst "Siedlungsausbau, Abrisse und Vertreibungen" in Masafer Yatta als "illegal unter internationalem Recht". Die Einrichtung einer Schießzone sei kein "imperativer militärischer Grund" für die Umsiedlung der besetzten Bevölkerung.
-Die EU erinnerte daran, dass solche Maßnahmen "die Zweistaatenlösung ernsthaft bedrohen und ein bereits angespanntes Umfeld nur eskalieren lassen, von dem niemand wirklich profitieren kann und das die Situation vor Ort für die einfachen Menschen auf beiden Seiten nur noch weiter verschlechtert".
Quellen: Wikipedia, die New York Times, der Guardian, Ha'aretz und der Europäische Auswärtige Dienst
Zu Letzterem hier der direkte Link: https://www.eeas.europa.eu/eeas/israelpalestine-statement-spokesperson-evictions-masafer-yatta_en
Aber jeder Leser möge gerne selbst zum Thema recherchieren und sich ein eigenes Bild machen.
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