Kritik zu Neuigkeiten aus Lappland
Eine unerschrockene Reporterin macht sich auf die Suche nach einem verschwundenen sowjetischen Marschflugkörper: poetisch-irrwitzige Tragikomödie und Emanzipationsgeschichte im verschneiten Finnland der 1980er Jahre
Ende 1984 verirrte sich ein sowjetischer Marschflugkörper in den finnischen Luftraum. Es herrschte Kalter Krieg, die mehr als 1300 Kilometer lange Grenze Finnlands zur damaligen UdSSR besorgte Europa damals (wie heute). Die Finnen ertrugen es mit einer gewissen Unterwürfigkeit – so zumindest erzählt es die lappländische Filmemacherin und Drehbuchautorin Miia Tervo in ihrer von dem Vorfall inspirierten irrwitzigen Tragikomödie »Neuigkeiten aus Lappland«. Sie verknüpft die Geschichte des Landes mit der einer jungen Frau, die lernen muss, ihre eigenen Grenzen zu ziehen – voller Melancholie, nordischer Lakonie, Absurditäten und am Ende einem großen Hoffnungsschimmer.
Die alleinerziehende Niina (Oona Airola) demoliert eines Tages versehentlich das Panoramafenster der Lokalredaktion. Dem Chefredakteur und Verleger Esko (Hannu-Pekka Björkman), eine Mischung aus Horst Schlämmer und Leslie Mandoki, bietet sie an, ihre Schulden als Reporterin abzuarbeiten. Viel Erfahrung hat sie nicht. Doch ihre Not ist groß: Der gewalttätige Ex-Mann droht aus dem Gefängnis entlassen zu werden, die beiden Kinder wollen versorgt werden, und das bescheidene Haus, in dem sie mit ihrem dementen Großvater lebt, ist mehr als beengend. Niina ist engagiert und motiviert. Vor allem als sie einen riesigen Knall über Lappland gehört haben will und plötzlich das finnische Militär anrückt. Ein atomarer Marschflugkörper der Sowjets soll irgendwo im winterlichen Lappland abgestürzt sein.
Doch die Finnen nehmen es gelassen, flüchten sich in Eskapismus und Normalität, die Militärs versuchen zu beschwichtigen. Schließlich haben die Sowjets den Vorfall öffentlich bedauert. Die unerschrockene Niina aber, von vielen belächelt und verbalen sexuellen Übergriffen ausgesetzt – es sind die 1980er –, verbeißt sich in ihre Recherche, bis Esko sie entlassen muss, vermutlich auf Druck der Regierung. Überhaupt hat er sich in seinem Blättchen bislang immer nur den schön-harmlosen Dingen gewidmet.
Was Filmemacherin Miia Tervo als skurrile Klamotte mit verrückt-liebevoll gezeichneten Figuren beginnen lässt, fächert sie nach und nach als kluges Gesellschaftsgemälde in einer unwirtlichen Region am Rand Europas auf und als Emanzipationsgeschichte ihrer Protagonistin. Mutig stapft diese in ihrem roten Anorak und der riesigen weißen Fellmütze durch das Weiß des winterlichen Schnees, verliert nie den Mut und gewinnt dann an Stärke, als ihr Ex-Mann tatsächlich wieder auftaucht.
Es geht um Grenzen, die man ziehen muss oder ziehen will, Ländergrenzen und die eines jeden Individuums. Niina muss dies erst lernen, ihr Liebhaber Kai (Pyry Kähkönen), Oberstleutnant der lappländischen Luftwaffe, bedauert, zu klare Grenzen zu seinem Vater gezogen zu haben. Letzteres hätte die Geschichte nicht gebraucht. Und doch besticht »Neuigkeiten aus Lappland« mit seiner feinen Komik, der Tragik, die so oft in der Komik steckt, einer großartigen Hauptdarstellerin sowie dem Soundtrack aus 1980er-Jahre-Elektro-Pop-Beats und finnischen Volksliedern.
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