Kritik zu Neo Rauch – Gefährten und Begleiter
Die Dokumentarfilmerin Nicola Graef porträtiert einen der international beachtetesten deutschen Künstler bei seiner Arbeit und durch Interviews
mit seinem Umfeld
Totale. Ein großer Raum. Darin ein Männchen im Ringen mit einer Leinwand, die mindestens doppelt so hoch ist wie er selbst. Nur mit viel Mühen und ebenso vielen Absetzern gelingt es, sie hereinzutragen und aufzustellen, begleitet von lautem Geschepper im Ton. Dann Schnitt. Näher. Und man sieht, wie der gleiche Mann nach und nach die Leiter vor der Leinwand in die passende Position rückt, bevor er sich aus einem Töpfchen am Boden Farbe nimmt, hinaufsteigt und oben mit dem Pinsel ansetzt.
Dokumentar-Slapstick aus dem Atelier. Aber auch deutlicher Hinweis auf die handwerklichen Seiten eines Gewerbes, in dem es Neo Rauch mit seinen surrealistischen Tableaus weit nach oben geschafft hat. Dabei sieht man diesen so leicht erscheinenden ersten Einstellungen des Films aus dem Allerheiligsten der Malerei die Schwierigkeiten ihrer Entstehung nicht mehr an. Denn als die WDR-Journalistin und Filmemacherin Nicola Graef mit ihrer Idee zu einem Porträt des Künstlers in Rauchs Umfeld anklopfte, wurde ihr deutlich abgewinkt. Rauch hätte – nach einer ersten Fernsehdoku 2007 – keine Lust auf Kameras.
Dann kam es, wohl durch kluges Anpirschverhalten, doch anders. Und Graef konnte ganze drei Jahre mit Rauch drehen, bis zu einer im Zentrum des Films stehenden sehr persönlichen, im Juni 2016 eröffneten Ausstellung, für die Rauch in seiner Heimatstadt Aschersleben eigene Arbeiten mit dem zeichnerischen Werk seines Vaters Hanno gemeinsam ausstellte. Einem leider nur schmalen Werk, denn beide Eltern waren nur vier Wochen nach Rauchs Geburt bei einem Eisenbahnunglück verstorben.
Ein Trauma, das sich in Rauchs somnambulen Bildfiguren ebenso niederschlägt wie der Systemwechsel, den der junge Künstler nach einem Studium an der Leipziger Hochschule für Buchdruck und Gestaltung erlebte. Auskunft zu diesen Zeiten geben im Film Rauchs Galeristen Judy Lybke und Klaus Fischer, der damals ein enger Freund des Malers und seiner ebenfalls malenden Ehefrau Rosa Loy war. Loy hat im Film eine starke Nebenrolle. Dennoch ist der Untertitel »Gefährten und Begleiter« irreführend, denn Graefs Film ist kein Generationenporträt und betrachtet Rauchs Werk auffällig isoliert, ohne horizontale oder vertikale (kunsthistorische) Verortung.
Deutungsversuche kommen dafür hauptsächlich von Sammlern. Und die in Künstlerfilmen eher raren Besuche in ihren privaten Gefilden in Italien, Korea oder London sind Leckerbissen des Films. Hier gibt es konkrete Einblicke nicht nur in die kunstvolle Inszenierung sozialer Distinktion, sondern auch in die offensichtlich immer noch von den Klischees »düstere Romantik« und »Diktatur« geprägte internationale Rezeption deutscher Kunst. Daneben auch Gespräche mit Rauch, der sich in seinen Bildern selbst als Geschichtenerzähler sieht – und beim Sprechen einen gespreizt literarisierenden Duktus pflegt. Dass Filmemacherin Graef von Rauchs Arbeit begeistert ist, lässt sich nicht übersehen. Eine der vielen Stärken ihres Film ist, dass man diese Begeisterung nicht teilen muss, um aus ihm Genuss und Gewinn zu ziehen.
Kommentare
Bewertung Neo Rauch
Diese großartige Dokumentation hat mich tief berührt - danke an Katja Wildermuth und die Nicola Graef für die Hingabe und Geduld, dieses Portrait entstehen zu lassen.
Hingabe - das ist es, was Neo Rauch ausstrahlt. Fast scheint es so, als ob alles Außen nur Notwendigkeit des Seins sei.
Es geht offensichtlich nicht darum, Teil eines Kunstbetriebs zu sein, egal welche astronomischen Summen für seine Werke bezahlt werden.
Es ist die Kunst selbst, die mit unbeirrter Gewissheit den Weg zum Ich, und zugleich zum Betrachter, findet.
Der Schlüssel liegt wohl im Trauma des tragischen Bahn Unfalls, des frühen Verlusts beider Eltern. Das Entgleisen, aus der Spur geraten, drüber hinwegfahren, der dunkle Tunnel ohne Ahnung, wann das Licht am Ende desselben erreicht sein wird, das verletzte Vertrauen, Einsamsein, Zerstören einer Kindheit und die Hilflosigkeit, es notgedrungen hinnehmen zu müssen. Wer solches Leid erfährt, kann solche entrückten Albtraumwelten in Bildern erzählen…
Die Gleichzeitigkeit der Arbeit an diesen Großformaten, der starke Schaffensdrang, ja geradezu das Getriebensein macht ihn zum Werkzeug seiner Intuition.
Die Suche nach den Antworten in diesen monumentalen und kryptischen Werken ist seine Therapie.
Das Talent des Vaters, dass in ihm weiterlebt und sich eigene kreative Wege bahnt….
Die mysteriöse Farbgebung, die schlafwandlerisch-entrückten Gestalten, welche an alte Werbegrafiken oder die Jahrhundertwende erinnern - universell in ihrer Präsenz, unnahbar und geradezu autistisch in sich gekehrt wie er selbst - nie in Interaktion.
Das Verwobensein von Architektur, Natur und grafischen Ebenen mit den Eigenartigkeiten der dargestellten Personen: Neo Rauch greift meisterlich verschiedenste Elemente von Kunst-Epochen und Stilmitteln auf und gibt ihnen ein eigenes Dasein.
In jedem düsteren Szenario ist knallige Farbe zu finden und Schlangen - symbolisch für Nichtgreifbares, die Vertreibung aus dem Paradies, aber auch Heilung -winden sich immer wieder in die surrealen Bildwelten hinein, werden Körperteile.
Das Genie und Gespür für Plastizität und Dimensionen, die das Verstehen weit übertreffen, die Präzision seiner Kunst ist überragend.
Hier geht es offensichtlich um das Wegschieben einer großen Last der Seele, das tägliche „ stellen Sie heute die Fragen…..vielleicht leben Sie“, um es mit Rilke zu sagen, „eines fernen Tages, in die Antworten hinein“.
Alles, was Neo Rauch spricht, wirkt, als sei er ein Medium, der Botschaften einer anderen Sphäre kundtut. Es ist druckreife Poesie und Verletzlichkeit in unerwarteter Offenheit.
Dieser Künstler symbolisiert schmerzhafte Nähe und kühle Ferne in einem, ohne widersprüchlich zu erscheinen.
Er hat den geschützten Raum seines Ateliers,
seiner Musik, seiner Lebensbegleiter, und dennoch steht seine Einsamkeit genauso monumental vor dem Betrachter wie seine großen Leinwände.
Was seinen Händen entspringt und dort entsteht, nimmt den Umweg über grobe Arbeitshandschuhe, um beispielsweise filigrane Gesichtszüge aufleben zu lassen - fast so, als dürfe er es sich selbst nicht zu leicht machen, um die Analogie und Bürde seines Lebensschmerzes zu verdeutlichen.
Diese Handschuhe sind die Schutzmauer zu seiner wahren Verletzlichkeit, und wenngleich er über Farben und Bildelemente mit seinem Galeristen kommuniziert, folgt er doch ausschließlich seinem inneren Kompass.
Es wurde ihm vorgeworfen, seine Bilder nicht zu erklären.
Warum sollte er?
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