Kritik zu Mikro & Sprit
Der französische Regisseur Michel Gondry mag die Skurilitäten des Alltags und seltsame, doch liebenswerte Figuren. In seinem neuen Film erzählt er vom Beginn einer wunderbaren Freundschaft
Daniel ist nicht eben groß, kräftig ist er auch nicht, und weil seine blonden Haare etwas länger sind, wird er des Öfteren für ein Mädchen gehalten. Er ist schüchtern, er zeichnet und malt gerne und gut. Doch seine Mitschüler nehmen ihn nicht ernst und nennen ihn Mikro. Dann kommt Théo in die Klasse, ein Schwung dunkler, ungebändigter Locken sitzt auf seinem Kopf, er hat eine große Klappe, ist ein Schrauber, Tüftler und Bastler, seine Hände sind schmutzig, und er riecht nach Benzin. Auch er wird von den anderen nicht akzeptiert, und sie nennen ihn Sprit. Es dauert nicht lange, dann freunden Mikro und Sprit sich miteinander an. Und es dauert gleichfalls nicht lange, dann stellen sie fest, dass sie mehr gemeinsam haben als ihr Außenseitertum. Durchgeknallte Familien beispielsweise. Interesse an philosphischen Debatten. Eine überbordende Fantasie. Wagemut und Abenteuerlust.
Microbe und Gasoil heißen sie im französischen Original, die beiden Protagonisten, die Michel Gondrys autobiografisch motiviertem Film über zwei beste Freunde und ihren besten (weil einzigen) gemeinsamen Sommer den Titel geben. Die Mikrobe und der Benziner beschließen nämlich, die Ferien nicht in Gesellschaft ihrer jeweiligen verrückten und/oder desinteressierten Eltern und Geschwister zu verbringen, sondern miteinander. Ein günstiger Zweitaktmotor kommt da sehr zupass, liefert er doch das Herzstück eines alsbald zusammengezimmerten Gefährts, das zum Zwecke der Tarnung wie der Irreführung nach außen hin als kleine Hütte erscheint. Eine Art Baumhaus auf Rädern, komplett mit Geranien vor dem Fenster. So zuckeln sie denn dahin, mit 20 km/h auf Nebenstraßen, und reden den lieben langen Tag über Gott und die Welt – und die Mädchen natürlich.
Filmemacher Gondry ist am Handlungsort, Versailles, geboren und aufgewachsen, und gedreht wurde »Mikro & Sprit« unter anderem im Haus der Großeltern. In seiner Kindheit, erzählt Gondry, wurde er des Öfteren für ein Mädchen gehalten, und an seiner Schule fühlte er sich eher den Außenseitern zugehörig. Mikros Familie, so Gondry weiter, sei ein ziemlich akkurates Porträt seiner eigenen, während die Reise im Hausauto den Versuch darstelle, eine Kindheitsfantasie mit Hilfe des Films doch noch Wirklichkeit werden zu lassen; die Ereignisse unterwegs beruhen im Übrigen auf Träumen, die er damals gehabt habe.
Ziemlich viel Persönliches und Privates steckt also in »Mikro & Sprit«, dessen Atmosphäre man sich am Besten als »knapp an der Realität vorbei, doch nicht unglaubwürdig« vorstellen sollte. Bekanntlich können in Gondrys verzauberter Welt Dinge passieren, die andernorts noch nicht einmal denkbar sind, doch mit den beiden großartigen jungen Darstellern Ange Dargent in der Rolle Daniels und Théophile Baquet in der Théos sind dem Publikum zwei zudem adäquat eigenwillige Reiseführer zur Seite gestellt, die noch dem Allerseltsamsten und Unwahrscheinlichsten mit der größtmöglichen Gelassenheit begegnen. So ist das eben, wenn die Pubertät einsetzt und die Perspektiven sich verändern. Eine wunderbare Spinnerei!
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