Kritik zu Merry Christmas
Christian Carions Film über Versöhnung im Ersten Weltkrieg
Weihnachten, das Fest der Liebe. Im klirrend kalten Kriegswinter 1914 entfaltet die »Stille Nacht, heilige Nacht« ihre Versöhnungsmagie auf wundersame, nicht für möglich gehaltene Weise. Plötzlich stehen im verlustreich umkämpften Niemandsland zwischen den Schützengräben Tannenbäume. Französische, deutsche und schottische Soldaten legen ihre Waffen beiseite, singen gemeinsam Weihnachtslieder, beschenken sich mit Champagner, Zigaretten und Schokolade, spielen Fußball, verbrüdern sich. Ein kurzes Friedens-Intermezzo – bis die Heeresleitungen den »Geist der Verbrüderung« zum »Hochverrat« erklären und den Frontsoldaten klar gemacht wird, dass es ihre Pflicht ist, einander abzuschlachten.
Auf authentischen Geschehnissen basiert die Geschichte, die der französische Filmemacher Christian Carion (»Eine Schwalbe macht den Sommer«, 2001) zum immens bewegenden, aufwühlenden Drama gestaltet. Einige plakativ-sentimentale Momente verzeiht man dem Film, weil er den großen Bogen seiner Verbrüderungsfabel sinnfällig spannt und jedes Einzelschicksal ergreifend durchsichtig macht. In vier Akten entfaltet sich das Weihnachtswunder an der Front des Ersten Weltkriegs.
Zuerst die Kriegsbegeisterung allerorten. Französische, britische und deutsche Schulkinder rezitieren patriotische Verse, die zur vollständigen und glorreichen Vernichtung des jeweiligen Gegners im heiligen Krieg aufrufen: »... geh' ich mit Freuden zum Sterben ...«. In einem schottischen Dorf verursacht die Aussicht auf das Kriegsabenteuer einen Freudentaumel bei zwei Brüdern. Der anglikanische Priester des Ortes, Palmer (Gary Lewis), lässt sich allerdings von dem Jubel nicht mitreißen. Er wird später die denkwürdige Heiligabend-Messfeier zwischen den Stacheldrähten zelebrieren. An der Berliner Oper beobachtet die wunderschöne dänische Sopranistin Anna Sörensen (Diane Kruger), wie die Ausrufung des Kriegsbeginns mit Riesenbeifall bedacht wird. Ihr Geliebter, Startenor Nikolaus Sprink (Benno Fürmann), muss an die Front, wo er auf den routinierten, pflichtbewussten, smarten Leutnant Horstmayer (Daniel Brühl) trifft.
Zweiter Akt: Erosion der Kriegsbegeisterung. Der Stellungskrieg zermürbt. Man ist dem Feind zu nahe gekommen, auf Rufweite, erkennt den Einzelnen und wird des Tötens müde. Der französische Leutnant Audebert (Guillaume Canet) würde lieber seiner schwangeren Frau beistehen als den nächsten Spähtrupp in den sicheren Tod führen. Ähnliches spielt sich in den anderen Schützengräben ab. Und so ergibt sich - dritter Akt – aus einer Fügung von glücklichen Zufällen dieser Weihnachtsabend der Verbrüderung.
Vierter Akt: Strafaktionen gegen die beteiligten Soldaten und Offiziere. Gespenstisch: das Auftreten des anglikanischen Bischofs, der Palmer abkanzelt, und in einer perfiden Predigt – »Sagte Jesus nicht: ich bringe das Schwert, nicht den Frieden!« – seine Schäfchen für die Rückkehr in die Schützengräben präpariert. Die Soldaten haben einen Augenblick lang erkannt, dass sie mit den vermeintlichen Feinden mehr Gemeinsamkeiten haben als mit ihren hochrangigen Befehlshabern. Eine Erkenntnis, die den Mächtigen gar nicht lieb ist. Der Film entfaltet diese Erkenntnis augenöffnend als Versöhnungsaufruf. In einer Zeit, in der »Heilige Kriege« und das Aufrichten von Hass-Mauern an der Tagesordnung sind, kann man das Gelingen und die Überzeugungskraft von »Merry Christmas« nicht hoch genug preisen.
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