Kritik zu Love & Mercy

© Studiocanal

Genie und Wahnsinn: Bill Pohlad zeichnet in seinem Biopic über das Leben des Beach-Boys-Komponisten Brian Wilson mit konventionellen Mitteln das unkonventionelle Porträt eines lange unterschätzten Ausnahmekünstlers

Bewertung: 4
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 2)

Im Jahr 1976 nahmen John Belushi und Dan Aykroyd für einen Saturday Night Live-Sketch Brian Wilson mit auf einen spontanen Surftrip. Verkleidet als kalifornische »Surfpolizei« drangen sie in das Strandhaus des Beach-Boys-Songwriters ein, zerrten ihn im Bademantel aus dem Bett und zwangen ihn auf ein Board. Zu dem Cameo-Auftritt gab es sowohl einen komischen als auch einen ernsten Hintergrund. Wilson hatte in den 60er Jahren gerne damit kokettiert, die erfolgreichsten Surfhymnen geschrieben zu haben, obwohl kein Mitglied der Beach Boys je zur kalifornischen Surfszene gehörte. Mitte der 70er Jahre war Wilson dann bereits schwer depressiv. Er hatte sich nach einigen legendären Drogeneskapaden aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und verließ kaum noch sein Bett. Der dubiose Psychiater Eugene Landy übernahm damals seine Behandlung und gewann zunehmend Kontrolle über Wilson.

Die 70er Jahre sind eine Leerstelle in Bill Pohlads Biopic »Love & Mercy«, das nach einem Wilson-Song aus dem Jahr 1988 benannt ist. Der Film behandelt die Zeit vor und nach Wilsons Zusammenbruch, er umkreist gewissermaßen den Tiefpunkt in dessen Leben aus zwei gegenläufigen Richtungen: Wilsons Neuerfindung als musikalisches Genie mit der Produktion des einflussreichen »Pet Sounds«-Albums Mitte der 60er Jahre – ein künstlerischer Triumph, der bereits seinen gesundheitlichen Tribut forderte – und seiner Befreiung vom herrischen Einfluss Landys, dessen Diagnose einer paranoiden Schizophrenie bei Wilson später von amerikanischen Gerichten annulliert wurde.

»Love & Mercy« eröffnet in den 80er Jahren mit einem sichtlich verstörten Wilson, gespielt von John Cusack, beim Kauf eines Autos. Die Verkäuferin, seine spätere Ehefrau Melinda (Elizabeth Banks), zeigt sich gerührt von dem hilflosen Mann, der der jungen Frau noch seine Telefonnummer zusteckt, bevor Landy (Paul Giamatti) und seine Leibwächter ihn hinauseskortieren.

Ausgehend von dieser kuriosen Exposition entwirft »Love & Mercy« auf verschlungenen Pfaden ein hinreißendes Porträt von Brian Wilson, das weiter geht als eine gewöhnliche Musikerbiografie. Statt sich auf eine Erzählung entlang der biografischen Wegmarken zu beschränken, gelingt es ­Pohlad insbesondere in den Studioszenen, die wie das Im-Studio-Bonusmaterial einer »Pet Sounds«-Sonder­edition inszeniert sind, einen künstlerischen Prozess nachzuvollziehen. Das Heureka-Moment der Geniewerdung im Studio, die Arbeit an dem Stück »Good Vibrations«, das den Übergang der Beach Boys von einer erfolgreichen Surfcombo zu einer wegweisenden Band der psychedelischen Musik einleitete, erfasst der Film kongenial. Der warme Wall-of-Sound, die himmlischen Vokalharmonien der Wilson-Brüder und des intriganten Mike Love, Brians bandinternem Widersacher, und die schwirrende Vielzahl der für die Rockmusik der 60er Jahre ungewöhnlichen Instrumente (Celli! Maultrommel! Pauken!) fließen aus der syn­ästhetischen Wahrnehmung Wilsons, der später zugab, »Stimmen« zu hören, direkt in die Musik der Beach Boys ein. In seinen besten Momenten verschmelzen die manischen Klänge in Wilsons Kopf, der Filmscore und die Musik der Beach Boys zu einer psychedelischen Collage zwischen Symphonie und Kakofonie.

Paul Dano ist als junger Brian Wilson die perfekte Besetzung für dieses obsessive, leidenschaftliche, verängstigte Kind, das aus seiner Isolation heraus eine einzigartige Musik schuf, welche »Love & Mercy« genauso feiert, wie der Film Wilsons Leidensweg ernst nimmt. Pohlad blendet die zwei Zeitebenen ineinander und suggeriert mit diesem konventionellen Stilmittel, wie nah Genie und Wahnsinn liegen können, ohne dass dieser Allgemeinplatz einer Künstlerbiografie zur Plattitüde verkommt. Die starken Szenen in den 60er Jahren lassen dabei über dramaturgische Schwächen im John-Cusack-Erzählstrang hinwegsehen. Allein Paul Dano zu beobachten, wie er gedankenverloren im Sandkasten »Surf's Up« auf dem Klavier anstimmt, lässt tief in die Seele eines getriebenen Künstlergenies blicken.

... Zur Nahaufnahme von Paul Dano: »Loser de Luxe«

Meinung zum Thema

Kommentare

Ein Biopic über die Poplegende Brian Wilson. Er war nicht nur der musikalische Kopf der Beach Boys, sondern die Beach Boys waren Brian Wilson, ein Verwandtschafts-Clan der besonderen Art. Regisseur Bill Pohlad gelang ein Kunstgriff, indem er der Krankheit (paranoide Schizophrenie) des Pop Gottes dadurch gerecht wurde, dass er seine Rolle mit zwei Schauspielern besetzte: Paul Dano und John Cusack. Dano ist etwas moppelig, John ist der Charmeur. Beide Persönlichkeitsstrukturen waren in Brian angelegt. Bill Pohlad hat auch versucht die Grenze von Genie und Wahnsinn anzudeuten, die von der Sucht nach Musik bestimmt werden. Die war permanent in Brians Kopf.
Beach Boy Fans kommen voll auf ihre Kosten, denn der Film ist voll gespickt mit ihren Welterfolgen. Und man kann nachvollziehen, wie manch ein Song sich im Studio von der musikalischen Idee bis zur fertigen Aufnahme entwickelte, wie daran gearbeitet wurde, Verbesserungen vorgenommen und Einsprüche abgeschmettert wurden. Klar, dass es Momente gab, da war der Name Beach Boys nur unter Brian Wilson & Band bekannt.
Im Gegensatz zu vielen Musikfilmen gibt es hier einen Plot, der Brians Krankheit und Tablettenabhängigkeit beleuchtet. Es scheint sicher zu sein, dass ihn die schöne Autoverkäuferin Melinda (Elizabeth Banks) aus den Klauen seines Freundes und Überwachers Dr. Landy befreit hat. Die Rolle hat Paul Giamatti übernommen und glänzend umgesetzt, der sich nie zu schade ist ein Ekel zu spielen.
Man erkennt den unverwechselbaren Sound der Strandbuben mit dem tollen Drive. Und wenn man einen Song mag, gefallen einem alle.

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