Kritik zu Lagunaria
Mit einmaligen Aufnahmen zu Luft und zu Wasser gelingt es Giovanni Pellegrini in seinem Essayfilm, dem spezifischen Lebensgefühl von Venedig Ausdruck zu verleihen, das im besonderen Zusammenspiel von Mensch und Natur entsteht
Unbestritten gehört Venedig zu einer der am meisten fotografierten Städte der Welt. Wahrscheinlich wurde auch keine andere Stadt so oft bereits in Gemälden verewigt. Und kaum war die Filmkamera erfunden, reisten selbstverständlich auch die Brüder Lumière an und drehten im Grunde dieselben Szenen, die heute noch Touristen aus aller Welt mit ihren Smartphones einfangen: vom Vaporetto aus die Paläste am Canale Grande entlang, auffliegende Tauben auf dem Markusplatz, den Gondelverkehr unter der Rialto-Brücke. Soll heißen: Venedig ist als Stadt so ausgiebig abgebildet und dokumentiert, dass es schwerfällt, die Zuschauer von heute noch mit ungewöhnlichen Aufnahmen der »Serenissima« überraschen zu wollen. Aber Giovanni Pellegrini gelingt es mit seinem wunderschönen Essayfilm »Lagunaria«.
Am Anfang mag alles noch etwas aufgesetzt erscheinen: Da gibt es viele Luftaufnahmen aus der Umgebung von Venedig, die die Lagunenlandschaft in malerischer Verfremdung zeigen, in der das Mäandern des Wassers mit dem der Sandbänke und Inseln zum abstrakten Muster wird. Eine Stimme aus dem Off erzählt dazu gleichsam »wie aus der Zukunft« von einer verschwundenen Stadt, die einst sehr berühmt war. Der künstliche Ton der Erzählung aus dem Off fügt sich bald mit den dokumentarischen Aufnahmen von Stadt und Lagune zu einer besonderen Perspektive zusammen: der einer verfremdenden Distanz, die schlaglichtartig zugleich eine intime Nähe zu den Bewohnern und Vorgängen in der Stadt offenbart.
Pellegrini gelingt das Porträt der besonderen Topografie Venedigs: Überall ist immer Wasser. Der Umgang damit, das Einhegen in Kanäle, die Anpassung an seinen Tidenrhythmus und vor allem das ständige Anarbeiten gegen seine stete Zersetzungskraft, das alles macht das typisch venezianische Lebensgefühl aus. Pellegrini zeigt eine Demonstration der Gondeln und Ruderboote, die auf die Gefahren des Wellenschlags von Motorbooten und Jachten aufmerksam machen wollen. Er zeigt, wie einem jungen Mädchen das Gondelnrudern durch die Kanäle beigebracht wird. Er filmt immer wieder einzelne Fischer, Restaurateure und Handwerker, die in permanenter Kleinarbeit Bodenmosaiken neu abdichten, um sie vor der Wasserfäule zu retten, die morsche Holzpfähle in der Lagune austauschen oder Kanalfassaden neu verputzen. Venedig, das wird unmittelbar erfahrbar, macht seinen Bewohnern eine Menge Arbeit.
Die Stimme aus dem Off spekuliert dabei über Zukunft und Vergangenheit der Stadt, über ihr Verschwinden und ihre Neubelebung. Man sieht Venedig im Zustand des »Acqua alta«, wenn der Markusplatz so überschwemmt ist, dass die Touristen über Gehsteige geführt werden müssen. Und man sieht Aufnahmen aus einem fast menschenleeren Venedig, wie sie nur während der Corona-Pandemie von 2020 entstanden sein können, als der globale Tourismusstopp der Stadt eine Atempause gewährte. Damals plädierten viele dafür, die Unterbrechung als Chance zu nutzen, um über eine Neuordnung des Tourismus nachzudenken, der für eine unterhaltsintensive Stadt wie Venedig nun mal Fluch und Segen zugleich ist.
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