Kritik zu Labor Day

© Paramount

Zeit für große Gefühle: Jason Reitman (Up in the Air) verwickelt Kate Winslet und Josh Brolin in ein sinnliches Sommer-Melodram

Bewertung: 4
Leserbewertung
3.6
3.6 (Stimmen: 5)

Labor Day sei ein Film, den man zwar mögen wolle, aber nicht mögen könne, hieß es in einem der vielen Verrisse, mit denen die amerikanischen Kritiker Jason Reitmans Melodram abstraften. Der Vorwurf, ganz generell: die ziemlich getreue Adaption des Romans von Joyce Maynard leide unter einem abstrusen und unglaubwürdigen Plot und verkenne die psychologischen Implikationen ihres Szenarios. Dass eine Frau sich binnen weniger Tage in ihren Kidnapper – einen entlaufenen Sträfling und mutmaßlichen Mörder – verlieben könne, sei eher dem Stockholm-Syndrom zuzuschreiben als wahrer Emotion. Und dass der Übeltäter sich als sanftmütiger Ehemann- und Vaterersatz mit herausragenden Handwerker- und Pfirsichkuchenbäckerqualitäten erweise, sei mindestens ebenso fragwürdig.

In der reinen Theorie mögen diese Argumente nachvollziehbar sein. Doch wer Labor Day nicht bloß mögen, sondern auch erspüren will, der wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem anderen Urteil kommen. Wie so oft im Kino geht es dabei um den alten Gegensatz zwischen Wahrscheinlichkeit und Wahrhaftigkeit – und darum, dass das eine keineswegs die notwendige Voraussetzung für das andere ist.

Reitman jedenfalls plagen keinerlei Zweifel: Er nimmt seine Geschichte von der ersten bis zur letzten Minute ernst und inszeniert sie frei von Ironie, aber auch von Schmalz. Für ihn ist die Begegnung von Adele (wunderbar verletzlich: Kate Winslet) und Frank (viril und sensibel: Josh Brolin) schlichtweg ein romantischer Glücksfall, eine Begegnung, die so schön ist, dass sie einfach wahr sein muss. Erzählt wird sie aus dem Off von Adeles inzwischen erwachsenem Sohn Henry (erstaunlich intensiv: Gattlin Griffith), der 1987 dreizehn Jahre alt war und mächtig zu leiden hatte unter den Folgen der Scheidung seiner Eltern. Seine psychisch labile Mutter geht kaum aus dem Haus, obwohl oder gerade weil sie sich einsam fühlt, und sein Vater (Clark Gregg) hat längst eine neue Familie.

Bei einer Shopping-Tour in der Stadt treffen Adele und Henry auf den vermeintlichen Verbrecher; zum einzigen Mal deutet Frank in dieser Szene so etwas wie Gewaltbereitschaft an, wenn er dem Jungen seine Hand um den Hals legt, um seiner Bitte, Adele möge ihn bei sich zu Hause verstecken, Nachdruck zu verleihen. Peu à peu weicht danach die Angst aus den Augen von Adele und Henry. Beide spüren instinktiv, dass von dem fremden Mann in Wahrheit keine Gefahr ausgeht, und vor allem erkennen sie verwundert, dass Frank ganz selbstverständlich all jene Lücken füllt, die bislang in ihrem Leben existierten.

Trotzdem überstürzt der Film nichts. Reitmans Regie lässt den Emotionen Zeit zum Wachsen, und er kann dabei auf das grandiose Spiel seiner Akteure ebenso vertrauen wie auf die exzellente Arbeit seines Stammkameramanns Eric Steelberg, der die lyrische Schönheit des Sommer-Intermezzos großartig gestaltet. So gelingt dem Film, was ein Kritiker schon dem Roman zubilligte: aus einer »ominösen Prämisse eine überzeugende und ergreifende Geschichte über das Erwachsenwerden zu machen«.

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