Kritik zu Jenseits von Schuld

© Real Fiction Filmverleih

2024
Original-Titel: 
Jenseits von Schuld
Filmstart in Deutschland: 
19.09.2024
L: 
79 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Wie weiterleben, wenn der Sohn ein Serienmörder ist? Eine sensible Annäherung, die auf dem Fernsehbildschirm besser aufgehoben wäre

Bewertung: 3
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Viele Katastrophen, die Menschen zustoßen können, entziehen sich unserer Vorstellungskraft. Wie einen geliebten Menschen zu verlieren, vielleicht sogar das eigene Kind. So lässt sich auch der Horror, der im Sommer 2005 über Ulla und Didi H. hereinbrach, kaum vermitteln. Ihr Sohn, ein Krankenpfleger wie der Vater, wurde bei einem Mordversuch an einem Patienten auf frischer Tat ertappt und verhaftet. Im Zuge der Ermittlungen erhärtete sich der Verdacht, dass er für unzählige Morde verantwortlich sein könnte. Fast 20 Jahre später ist klar, dass Niels. H. zwischen 1999 und 2005 Hunderte Menschen in zwei Krankenhäusern ermordet hat. Verurteilt wurde er in mehr als 80 Mordfällen und ist somit für die größte Mordserie in der deutschen Kriminalgeschichte verantwortlich.

Diese Verbrechen zu benennen, ist nötig, um den Kontext des Films von Katharina Köster und Katrin Nemec zu verstehen. Ihr Film rückt nicht den Täter, sondern die Eltern in den Mittelpunkt. Wie sie mit ihren Schuldgefühlen gegenüber Opfern und Angehörigen umgehen, wie sich ihr Verhältnis zum Sohn verändert hat und wie sie weiterleben in einer Stadt, in der jeder um ihre Geschichte weiß. Der Täter selbst bekommt keine Bühne. Damit distanzieren sich die Filmemacherinnen bewusst von True-Crime-Reportagen wie »Schwarzer Schatten – Serienmord im Krankenhaus« und »Der Todespfleger«, die SKY und RTL Now zum Fall produziert haben. 

Am Anfang wird der Sohn durch Kinderfotos eingeführt. Aufnahmen aus einem scheinbar anderen Leben, als die Welt für Ulla und Didi noch in Ordnung war. Jetzt ist er trotzdem immer präsent, auch wenn er nicht mehr anwesend ist. Nur am Telefon, jedes Mal, wenn Ulla sagt: »Niels ruft an.« Was er sagt, hören wir nicht. Hinzu kommen sehr intime Beobachtungen in der Wohnung des Paares. Es sind Bilder der Enge, die mit der Lebenssituation des Sohnes korrespondieren, und zeigen, dass auch Didi und Ulla Gefangene sind. Manchmal fühlt sich das voyeuristisch an, wenn wir sie bei ihren ganz unterschiedlichen Versuchen, mit der Situation umzugehen, beobachten. So sensibel die Annäherung der Regisseurinnen sind, so beharrlich halten sie die Einstellung auch in den schlimmsten Augenblicken der Eltern. Es sind lediglich Momentaufnahmen, und doch bleibt schwer vorstellbar, wie sie sich anfangs gefühlt haben müssen. Zwanzig Jahre und diverse Strafprozesse später fragen sie nicht mehr täglich nach dem Warum. Oder danach, was sie selbst hätten anders machen können. Die Taten des Sohnes relativieren sie dennoch nie.

»Jenseits der Schuld« zeigt uns zwei Menschen, die trauern. Um ihren Sohn, zu dem sie trotz allem Kontakt halten, und um das Leben, das nie wieder so sein wird wie zuvor – und dennoch weitergeht. »Ich lebe eigentlich sehr gern«, sagt Ulla, und wir glauben es ihr, obwohl sich der Schmerz in ihren Körper und ihr Gesicht eingraviert haben. Filmisch bleibt allerdings die Frage, ob die große Leinwand dafür der passende Ort ist. Dokumentation und Dokumentarfilm sind eben keine Synonyme. Die Bildsprache und die angemessen zurückgenommene Erzählweise wären in der intimen Atmosphäre des eigenen Wohnzimmers besser aufgehoben als im Kinosaal.

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