Kritik zu Ivo
Eva Trobisch erzählt vom Alltag einer Palliativpflegerin, die sich in einer sehr speziellen Dreiecksbeziehung wiederfindet
Stress zeigt sich oft durch Kleinigkeiten. So ist das auch bei Ivo, der Hauptfigur in Eva Trobischs zweitem Spielfilm nach ihrem gefeierten Debüt »Alles ist gut« (2018). Ivo (Minna Wündrich) ist Palliativpflegerin; jeden Tag legt sie weite Strecken mit dem Auto zurück, um todkranke Patient:innen zu versorgen. Zudem ist sie alleinerziehende Mutter, ihre pubertierende Tochter agiert aber größtenteils selbstständig. Ivo erledigt ihre Aufgaben mit stoischer Ruhe, der Stress ist ihr zunächst kaum anzumerken. Wie kräfte- und nervenzehrend ihre Tätigkeit ist, zeigt sich indirekt, etwa wenn sie im Auto eilig eine Portion Fast Food hinunterschlingt oder beim Ankommen in einer Wohnung als Erstes hastig ein Glas Wasser in sich hineinstürzt. Das Handy ist ebenfalls ein ständiger Stressfaktor: Durchgehend stimmt sie Termine ab und berät ihre Patient:innen auch aus der Ferne.
Durch kleine Momente wie diese entsteht ein Bild von Ivos Alltag. Die Stimmungen sind in stetem Wechsel: Auf eine hektische Sequenz in Ivos chaotischer Wohnung folgt ein Moment der Ruhe, in dem sie auf dem nächtlichen Balkon entspannt; einem mit schnellen Schnitten und Detailaufnahmen gefilmten Patientenbesuch folgt eine längere Autofahrt auf der Landstraße mit laut aufgedrehter Musik. Ivos Auto wird ohnehin zu einem durchgehenden Schauplatz. Es ist wie ein zweites Zuhause und dient als Rückzugsort zum Durchatmen, der bei Stau und chaotischem Verkehr aber ebenfalls zum Stressfaktor werden kann.
Der Ausnahmezustand ist in der Palliativmedizin ohnehin Alltag. Bei einer Teambesprechung werden standardmäßig die aktuellen Todesfälle vorgelesen, es folgen Informationen zu neuen Patient:innen, dann wird der Geburtstag eines Mitarbeiters gefeiert. Für Außenstehende mag dieses Nebeneinander von Tod und Feierlichkeiten befremdlich wirken, doch gerade hierin besteht die Professionalität: sich der zum Beruf gehörenden Schwere stellen zu können, ohne dass diese das eigene Leben bestimmt. Ivo zeigt bei ihrer Arbeit die nötige Mischung aus Empathie und Pragmatik. Mit Ruhe und Genauigkeit versorgt sie ihre Patient:innen und agiert auch als emotionale Ansprechperson.
Zu Pathos kommt es im Film von Trobisch nie. Die Schrecken, die Krankheit und nahender Tod mitbringen, den Zerfall eines Körpers verdeutlicht sie ohne Schockeffekte; bürokratische Hürden und Personalmangel kommen vor, ohne dass der Film plumpe Sozialkritik bedient. Auch heikle Themen wie Sterbehilfe werden ohne größere Diskussionen angerissen. Insgesamt ist der Film empathisch, bleibt aber in einer distanzierten Beobachterperspektive.
Eine von Ivos Patient:innen ist Solveigh (Pia Hierzegger), eine gute Freundin, die an ALS erkrankt ist und zunehmend ihre Selbstständigkeit verliert. Ein Härtefall, denn Personen aus dem näheren Umfeld zu pflegen, ist nicht üblich. Ivos Chef fragt sie mehrfach, ob sie der Aufgabe gewachsen sei. Auch wenn sie bejaht, hinterlässt die Herausforderung Spuren. Geschickt baut Trobisch das Gefühl von immer stärkerer Anspannung auf, die sich irgendwann entlädt. Im Auto fließen Tränen, bei einem passiv aggressiven Patienten kann Ivo ihren Ärger irgendwann nicht mehr an sich halten.
Hinzu kommt: Mit Solveighs Partner Franz (Lukas Turtur) hat Ivo eine Affäre. Neben den vielen kleinen Geschichten und Welten, in die man zusammen mit Ivo eintaucht, wird diese Dreiecksbeziehung nach und nach zum Zentrum. Solveigh spricht mit Ivo über Gefühle, über die sie mit Franz nicht sprechen mag, gleichzeitig finden Ivo und Franz beieinander Halt. Es ist nicht überraschend, dass diese Konstellation zu Konflikten führt, aber der Film verzichtet auf eine größere Zuspitzung oder Bewertung. Wie die Beziehungen genau entstanden sind, welche Haltungen die Beteiligten dazu haben, bleibt herausfordernd vage. Ivo wird zu einer Heldin mit Ambivalenzen, der Film ist ihr stets nah und lässt ihre Gedanken und Gefühlen gleichzeitig auch immer etwas offen.
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