Kritik zu Ihre beste Stunde
Filmemachen im Angesicht des Todes: Die dänische Regisseurin Lone Scherfig zeigt, wie der Zweite Weltkrieg zu einem Goldenen Zeitalter des britischen Kinos wurde. Die Verfilmung des Romans von Lissa Evans ist eine muntere, dramatische und zuzeiten auch tragische Hommage an den Durchhaltewillen einer kosmopolitisch-patriotischen Branche
Für die Beamten des Informationsministeriums ist der Fall klar. Sie wissen genau, wonach das Publikum in diesen Zeiten verlangt: nach Authentizität, Optimismus und einem niedlichen Hund. Und was könnte die öffentliche Moral besser heben als die Geschichte der furchtlosen Zwillingsschwestern, die mit dem Fischerboot des Vaters in See stechen, um schiffbrüchige Soldaten auf dem Rückzug von Dünkirchen zu retten?
Es soll der Film der Stunde werden. Aber der versierte Drehbuchautor Tom Buckley (Sam Claflin), ein Fachmann für die Allianz von Propaganda und Sentimentalität, kann diese Aufgabe nicht allein bewältigen. Ihm fehlt der weibliche Blickwinkel. Es trifft sich prächtig, dass er in der U-Bahn einen Comicstrip las, in dem genau der zum Tragen kam. Also wird flugs Catrin Cole (Gemma Arterton) engagiert, die eigentlich Sekretärin in einer Werbeagentur ist und den Comic nur aus Not am Mann verfassen durfte. Selbstverständlich, erklärt der patriotische Produzent, kann er ihr nicht so viel wie einem männlichen Autor bezahlen. Aber auch die sexistisch reduzierte Gage ist immer noch hoch genug, damit Catrin den Lebensunterhalt für sich und ihren Freund Ellis (Jack Huston) bestreiten kann, einem verletzt aus dem Spanischen Bürgerkrieg zurückgekehrten Künstler, dem es schwerfällt, Bilder nach dem Geschmack der Zeit zu malen.
Catrin macht sich mit arglosem Ehrgeiz an die Arbeit. Ihr Drehbuchpartner Tom ist ein selbstzweiflerischer Zyniker, der keinen Zweifel daran lässt, dass sie nur für den »slob« zuständig ist, den Schmalz, als den er die weibliche Note abtut. Zudem stellt sich heraus, dass die Heldentat der schüchternen Zwillinge weitgehend erfunden ist. Aber Zuversicht verbreitet ihre Geschichte nach wie vor (den Hund verlieren die Autoren derweil etwas aus den Augen), zumal sich noch eine Paraderolle für den einstigen Publikumsliebling Ambrose Hillard (Bill Nighy) einbauen ließe. Ihm ist nicht bewusst, dass seine Karriere schon das Stadium ihrer Abenddämmerung erreicht hat. Er geriert sich als Diva und kann nur dank Catrins diplomatischem Geschick (»Wenn Sie uns Ihre Zeit und Ihr Talent schenken …«) auf Spur gebracht werden. Während über London Bomben fallen, beginnen die Dreharbeiten an der englischen Küste.
Voller Sympathie versenkt Lone Scherfig ihren Blick in ein heroisches Zeitalter des britischen Kinos, in dem man Filme drehte, ohne zu wissen, ob man den nächsten Tag noch erlebt. Gaby Chiappe hat die Romanvorlage von Lissa Evans (im Original trägt sie den hübschen, cinephileren Titel »Their finest hour and a half«) mit sicherem Gespür für Registerwechsel und Zeitkolorit adaptiert. Catrin ist der Autorin Diana Morgan nachempfunden. Zwar wurde ihr, als einzigem weiblichen Mitglied der Drehbuchabteilung der Ealing Studios, der unschöne Kosename »the welsh bitch« verpasst, aber ihre Arbeit wurde geschätzt. Sie wirkte an dem zweifellos verwegensten Film der Epoche mit, »Went the day well?«, in dem sich ein englisches Dorf blutrünstig deutscher Invasoren erwehrt. Der Dünkirchen-Stoff, zu dem Catrin im Film hinzugezogen wird, erinnert vage an Morgans Drehbuch für »The Foreman went to France« (Ein gefährliches Unternehmen), der den Beitrag einfacher Zivilisten zur Kriegsanstrengung feiert. Im Nachhinein mutet es erstaunlich an, dass Morgan die einzige Szenaristin dieser Epoche war, denn weibliche Zuschauer waren ungemein wichtig für das Fortbestehen der Filmbranche: Sie machten fast zwei Drittel des Publikums aus.
Lissa Evans hat den Zeithintergrund ohnehin gut recherchiert. Die Figur des aus Ungarn stammenden Produzenten (»Ich mache den Film, mit dem wir den Krieg gewinnen!«) lässt an Alexander Korda denken. Der Einfluss des Ministry of Information auf das Filmgeschäft war naturgemäß enorm; dass der Regisseur des Dünkirchen-Epos zuvor nur Dokumentarfilme gedreht hat, spiegelt ebenfalls eine übliche Praxis dieser Zeit wider. Eine Epoche ganz nach dem Herzen nostalgischer Briten: In ihr verwandelt sich eine Niederlage in einen Triumph.
1939 drohte die Filmproduktion zum Stillstand zu kommen. Aber die 4800 Kinos schlossen nach der Kriegserklärung nur für ein paar Tage und hielten den Betrieb bis 1945 zu 90 Prozent aufrecht. Die Zahl der Kinobesucher stieg während der Kriegsjahre um die Hälfte. Material und Strom wurden rationiert, weshalb die Anzahl der Produktionen drastisch sank. Das Ministerium legte nicht nur Wert auf Propaganda, sondern auch auf hohe, konkurrenzfähige Qualität. Das Team im Film darf sogar in Technicolor drehen!
Scherfig, die mit »An education« bereits ihr Händchen für englische Romanzen mit Period-Flair bewiesen hat, beschwört lebhaft den Gemeinschaftssinn der Filmemacher, die dem Blitzkrieg trotzen. Die Dialoge stecken voller Epigramme, die verschmitzt davon künden, wie man sich mit den Absurditäten des Kriegsalltags einrichtet. Der Erzählton ist warmherzig und behaglich, verschließt sich aber nicht den Härten der Zeit. Der Erzählstrang um Hilliards Agenten (und vor allem dessen Schwester, die nach dessen Tod seine Geschäfte übernimmt: Helen McCrory weist den vergnügt sich als Rampensau gebenden Nighy liebevoll souverän in seine Schranken) ist sehr bewegend. Catrin wiederum muss keine feministische Heroine werden, sondern darf eine Frau ihrer Zeit bleiben. Ihr Abschied von Ellis ist bestrickend reif geschrieben und gespielt. Ihr (platonisches) Verhältnis zu Hillard wird von gegenseitigem Taktgefühl getragen. »Sie und ich«, sagt er am Ende eines schmerzlichen Erkenntnisprozesses zu ihr, »bekommen diese Chance nur, weil die jungen Männer an der Front sind.«
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