Kritik zu God's Own Country
Ein hoffnungsloser Jungbauer aus Yorkshire verliebt sich in einen ziemlich coolen rumänischen Saisonarbeiter. Francis Lees Spielfilmdebüt ist ein authentischer englischer Heimatfilm und ein Melo über raue Landschaften und männliche Körper
Der späte Winter lässt die Landschaft im nordenglischen Yorkshire noch trister und trostloser wirken. »God's Own Country« wird die Gegend genannt, die so rau und kalt und abweisend erscheint. Im Morgengrauen steht Johnny (Josh O'Connor) auf, der dort mit seinem kranken Vater (Ian Hart) und seiner Großmutter (großartig in ihrem Lakonismus: Gemma Jones) auf einer kleinen, abgelegenen Farm lebt. Er muss kotzen: weil er wieder mal die ganze Nacht gesoffen hat. Johnny Boy kann seine hoffnungslose Lebenssituation kaum mehr ertragen. Die harte Arbeit, die ungewisse Zukunft, seine halbherzig und brutal gelebte Homosexualität, die unendliche Einsamkeit. Johnny dürfte aus Wut sicherlich für den Brexit gestimmt haben. »Gottes eigenes Land«, diese unwirtliche Heimat scheint gar Spiegelbild seiner Seele zu sein. Am liebsten würde Johnny fliehen, weit weg gehen, wie einst seine Mutter, die Hof und Familie verlassen hat.
»God‘s Own Country« ist Francis Lees Spielfilmdebüt. Lee stammt selbst aus Yorkshire, aus einer kleinen Landwirtschaft. Der Film also ist aus eigener Erfahrung und mit viel Herzblut gemacht, aber auch mit künstlerischer Disziplin gestaltet worden. Gerade in seinem Realismus ist »God's Own Country« auch ein sehr stilisierter Film. Lee präsentiert große Landschaftspanoramen, er inszeniert Natur und männliche Körperlichkeit, die aggressiven Körper der Jungen, aber auch den durch die Landarbeit ausgemergelten Leib von Johnnys Vater. Als wollte er in der Gewalt dieser Landschaft, in der Grausamkeit der Natur, in den verschlossenen Menschen eine heimliche Schönheit und verborgene Poesie entdecken. Es gibt in Lees Film unzählige Großaufnahmen von Händen. Hände, die ihre Arbeit verrichten. Hände, die Tiere berühren. Hände, die nach anderen Händen greifen. Eine Choreographie der Gestik entwickelt Lee, in der sich Sehnsucht ausdrückt: nach Nähe, nach einer wiedergefundenen Heimat.
In den ersten Frühlingstagen kommt ein Fremder in diese verdammte Heimat. Gheorghe, ein junger Rumäne: er wurde von Johnnys Vater als Saisonarbeiter engagiert, um die Farm ein wenig auf Vordermann zu bringen. Dieser Gheorghe ist ein ruhiger, ziemlich cooler Typ. Die Anständigkeit, aber auch die Sinnlichkeit des Rumänen werden deutlich in seinem behutsamen, beinahe zärtlichen Umgang mit Tieren. Er kann mindestens so gut mit den Schafen umgehen wie Alan Bates in John Schlesingers bekannter Thomas-Hardy-Verfilmung »Die Herrin von Thornhill«. Und er sieht genauso gut aus wie Bates, jenem Idol der britischen Sixties. Gheorghe scheint heimischer zu sein in Nordengland als der entfremdete Johnny. Als hätte er, der schon geflohen ist, die gemeinsamen Wurzeln von Yorkshire und Rumänien entdeckt.
Natürlich ist Johnny eifersüchtig auf den fleißigen Gheorghe. Er nennt ihn provozierend »Gypsy«: Gheorghe muss zudem in einem alten Wohnwagen vor dem Farmhaus nächtigen. Natürlich ist Johnny aber auch verliebt in Gheorghe. Als die beiden für ein paar Tage aufs Land hinaus müssen, um Zäune zu reparieren, kommt es zu einer ruppigen Annäherung. Ihre Liebe, die Lee auch sehr erotisch inszeniert, ist zuerst ein Kampf, ein erbittertes Ringen in jeder Hinsicht. Gheorghe gelingt es, Zugang zum Freak und Loser Johnny zu finden. Aus Aggression wird Leidenschaft, wird Zärtlichkeit. In manchen schönen Szenen, die ein wenig an Michael-Powell-Filme erinnern, zeigt Lee dabei ein geradezu magisch-märchenhaftes Naturverständnis, in dem Liebe, Landschaft und Licht eine Einheit bilden.
»God's Own Country« befindet sich in einem irren Spannungsfeld aus Einflüssen und Assoziationen. Der Film oszilliert zwischen »Brokeback Mountain« und dem TV-Format »Bauer sucht Frau«. Zwischen Thomas Hardy/John Schlesinger und Michael Powell. Und doch besitzt dieser kleine Film, der das queer cinema aus der Stadt hinausführt aufs Land eine besondere Eigenständigkeit. Lees Film ist queeres Kino der Natürlichkeit. Nach all dem Ringen, bei all den Kämpfen ist das Schwulsein in einer so konservativen, fast archaischen Gegend beinahe selbstverständlich. Diese grenzüberschreitende Liebe zwischen Gheorghe und Johnny ist für Yorkshire, die Landwirtschaft und das Seelenheil der Männer lebensnotwendig.
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