Kritik zu Garagenvolk
Natalija Yefimkina porträtiert Männer im unwirtlichen russischen Norden, die in Garagen ihre Zuflucht finden
Sie haben tatsächlich etwas von Höhlen, diese »Man Caves«, von denen Natalija Yefimkina in ihrem Dokumentarfilm »Garagenvolk« erzählt: sich aneinanderreihende Garagen in einer nicht wirklich menschenfreundlichen Umgebung aus karger Bergkulisse und Beton im russischen Norden. Im Winter wird es klirrend kalt, und der Schnee ragt bis an die Dachkanten der Garagen, hinter deren rostigen Türen sich kleine Parallelwelten auftun: Bandproberäume, kleine Fitnessoasen, Werkstätten und vieles mehr.
Einer der Protagonisten ist Künstler und schnitzt Heiligenfiguren, ein anderer hortet Schrott, den er zu Geld macht, einer betreibt eine Wachtelzucht, und zwei Historienverrückte sammeln Wehrmachtskleidung, in der sie durch die Landschaft marschieren. Und einer, der leiseste, aber eindrücklichste, verfolgt den eingangs erwähnten Höhlengedanken buchstäblich sein ganzes Leben lang: seit seinem 27. Lebensjahr gräbt der 73-jährige Viktor mit Spaten und Eimer unter seiner Garage und hat dort vier gewaltige unterirdische Stockwerke ausgehoben und betoniert. Warum? Einfach um des Grabens, um der Beschäftigung willen. Der Mensch brauche die Beschäftigung, erzählt er, seine Freunde, heute alle tot, haben viel getrunken, er habe halt immer gegraben. Dem Wodka sind im Film überhaupt wenige abgeneigt.
Die Miniaturen, die Yefimkina in ihrem Langfilmdebüt einfängt, lassen an Ulrich Seidls »Im Keller« denken. Auch in »Garagenvolk« blicken wir in mit Obsession betriebene Mikrokosmen, die zunächst absurd wirken und deren Logiken sich, wenn überhaupt, erst nach und nach erschließen. Was treiben diese Menschen da? Als Sinnbild für Yefimkinas Herangehensweise passt gut jene Aufzugfahrt hinunter in die Schächte des Bergbaukonzerns, dem scheinbar einzigen Arbeitgeber weit und breit. Mit jeder Minute gräbt sich »Garagenvolk« tiefer in die Geschichte seiner Protagonisten.
Yefimkinas Film versucht die Brücke zu schlagen zwischen einem empathischen Blick und filmsoziologischer Studie. Das gelingt in weiten Teilen, führt aber auch zu Reibungen. Bei aller Empathie für die Menschen hat der Film in einigen Momenten etwas Ausstellendes, etwa in jener Szene, in der der altersmüde Viktor an seiner Untätigkeit leidet. Oder wenn der alkoholkranke Künstler im Gespräch von seiner Frau kleingemacht wird und die Kamera das Paar getrennt durch eine Wand visuell bereits entzweit. Auch wirken manche Gespräche zwischen den Protagonisten, die als erzählendes Element eingesetzt werden, gewollt. Warum dieser Hang zu fiktionalen Dramaturgien?
»Garagenvolk« ist dennoch ein gelungenes Debüt, ein Dokumentarfilm, der eine Welt aufschließt. Yefimkina erzählt anhand verschiedener Schicksale viel über das Leben im postsowjetischen Russland und über Männlichkeit. Die Garagen erscheinen als Zufluchtsorte. Sie sind die Orte derjenigen, die, allen Widrigkeiten zum Trotz, bleiben wollen: die Garage als Heimat. Was für eine schnoddrig-schöne Metapher.
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