Kritik zu Für Elise

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Eine alleinerziehende Mutter, eine Tochter und der neue Freund der Mutter: Wolfgang Dinslage erzählt in seinem Kinodebüt eine alte Geschichte mit glaubwürdigen Charakteren und viel Gespür für die Details der deutschen Provinz

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Wenn Elise auf ihrem Klavier spielt, taucht sie in einen anderen Ort ab. Zu Hause ist es nicht zum Aushalten. Ihre Mutter Betty flüchtet sich seit dem Tod des Vaters in den Alkohol und schleppt ständig neue Männer an, manchmal kaum älter als Elise. Wenn die sie sitzenlassen, verfällt sie wieder dem Alkohol. Ein Teufelskreis. Elise fehlt der Vater. Die Lieblosigkeit ihrer Mutter macht ihr schwer zu schaffen, die emotionale Kälte kompensiert sie mit Fleiß und ihrer Leidenschaft für die klassische Musik. Das Klavier ist die letzte Erinnerung Elises an ihren Vater. Ihm verdankt sie auch ihren Namen; Beethovens »Für Elise« war seine Lieblingskomposition. Jetzt hasst sie das Klavierstück, weil jeder Anfänger es ihrer Meinung nach klimpern kann.

Elise neigt hin und wieder zu solchen extremen Gefühlen. Damit gehört sie zu einem Schlag renitenter Teenager, die seit einer Weile das junge deutsche Kino erobern (»Totem«, »Die Vermissten«). Jasna Fritzi Bauer spielt Elise mit unergründlicher Miene und strahlt darin eine Selbstsicherheit aus, die sie wie einen emotionalen Schutzschild vor sich herträgt. Ihren Großtanten und der Lehrerin erzählt sie, dass zu Hause alles in Ordnung sei.

Als Betty den alleinerziehenden Ludwig kennenlernt, scheint sich das Blatt zum Guten zu wenden. Die Mutter hat Ludwig augenblicklich als ernsthaften Kandidaten auserkoren und schmeißt sich dem überrumpelten Mann mit dem Mut der Verzweiflung an den Hals. Elise bleibt misstrauisch, erst recht, als sie merkt, wie fürsorglich sich ihre Mutter um dessen Söhne kümmert. Dass Ludwig nach der Trennung selbst verunsichert ist, will Elise nicht erkennen. Darum reagiert sie auf seine freundlichen Avancen abweisend. Erst sein Interesse an der klassischen Musik weckt ihre Neugier, sehr zum Missfallen Bettys, die befürchtet, dass Elise ihrem neuen Schwarm zur Last fallen könnte. So wird ihr sowieso schon angespanntes Verhältnis einer weiteren Belastungsprobe unterzogen. Mutter und Tochter beginnen, um die Gunst Ludwigs zu buhlen.

Das klingt zunächst nach einer Geschichte so alt wie das Kino selbst. Aber Wolfgang Dinslage gelingt es in seinem Kinodebüt, den Unsicherheiten und Widersprüchen der Pubertät und den daraus resultierenden emotionalen Spannungen eine gesellschaftliche Spezifität zu verleihen. So ist »Für Elise« auch eine Geschichte aus der deutschen Provinz. Indem sein Film auf die großen repräsentativen Gesten, die dem Großstädter gewissermaßen angeboren sind, verzichtet, kann er ohne dramatische Verdichtungen und übermäßige Sentimentalität ein Milieu zeichnen, das biografisch und gesellschaftlich noch nicht ausdefiniert ist. Keine Figur muss in »Für Elise« eine Funktion erfüllen, selbst die Topographie seiner namenlosen mittelgroßen Kleinstadt hält Dinslage bis zum Schluss im Vagen. Die Wege zwischen dem Wohnblock der Mutter und dem Einfamilienhaus Ludwigs werden filmisch nicht aufgelöst. Der Film konzentriert sich ganz auf den Konflikt seiner Figuren. Dieser unvoreingenommene Blick ist überhaupt erst die Voraussetzung für eine gesellschaftlich relevante Beobachtung. So wird aus einem vordergründigen Sozialdrama eine glaubwürdige Charakterstudie.

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