Kritik zu Familientreffen mit Hindernissen
Eine große Gruppe von Menschen, und niemand hat ein technisches Kleingerät in der Hand: Julie Delpy schildert ein ganz offenbar autobiografisch inspiriertes Familientreffen im Sommer des Jahres 1979
Obwohl er mit Steinen gepflastert ist, beschreitet man den Weg immer wieder: Wann immer sich im Kino Familien zu einem Treffen zusammenfinden, wird von den großen und kleinen Kämpfen erzählt, die dabei ausgetragen werden, zum Beispiel in Thomas Vinterbergs Das Fest, in Jonathan Demmes Rachels Hochzeit oder demnächst in Hans Christian Schmids Was bleibt, um nur einige wenige zu nennen: So richtig schön gemein können nur Verwandte sein . . . Zumindest bringen alle das Gepäck ihrer Ansichten und Überzeugungen, ihrer Verletzungen und Erwartungen mit, die sich vor Ort dann zu einem explosiven Cocktail zusammenbrauen. Zum ganz großen Drama kommt es in Julie Delpys Familientreffen mit Hindernissen allerdings nicht, statt gärender und brodelnder Geheimnisse gibt es eher sympathische Animositäten, wie das eben so ist, wenn traditionsbewusste Landbewohner auf freigeistige Hippies aus der großen Stadt treffen. Eine diffuse Bedrohung geht lediglich von dem amerikanischen Satelliten aus, der demnächst aus dem Himmel fallen soll und dem der Film auch seinen mysteriösen Originaltitel Le Skylab verdankt.
Mehr oder weniger bereitwillig lassen sich die Menschen immer wieder in den Familienzirkus einspannen, so auch Albertine (Karin Viard) mit Mann und zwei kleinen Kindern. Im Zug schweifen ihre Gedanken dann in die Vergangenheit von 1979, als sie selbst noch ein elfjähriges Mädchen war und mit ihren Eltern (Julie Delpy und Eric Elmosnino) anlässlich des 67. Geburtstages ihrer Großmutter (Bernadette Lafont) denselben Weg antrat. Die kindliche Perspektive sorgt für eine sanfte Brechung, wie ein Filter schiebt sie sich vor die Ereignisse und macht dieses Familientreffen zwischen juveniler Unbekümmertheit und keimendem Bewusstsein für die Peinlichkeit der Eltern zu einer charmanten Coming-of-Age-Geschichte, in der sich das Erwachsenwerden mit der ersten Menstruation und dem ersten Schwarm ankündigt. Das französische Savoir-vivre an der wildromantischen bretonischen Atlantikküste mit ausgedehnten Mahlzeiten und lebhaften Unterhaltungen an der langen Tafel unter dem Baum sperrt sich gegen alle Hollywoodformeln romantischer Familienkomödien. Gelegentliche Schauer bringen Bewegung in die Tischgesellschaft und sorgen für Ablenkung von schwelenden Gesinnungskämpfen. Dabei speist sich die Geschichte wie all ihre Regiearbeiten spürbar aus den eigenen Erfahrungen von Julie Delpy, die etwa zur selben Zeit im selben Alter war wie ihre kleine Heldin. Wie schon in den intimeren Familienbesuchen in Paris und New York (2 Tage Paris, 2 Tage New York) hat sie auch hier wieder ihren eigenen Vater Albert Delpy in die halbfiktiven Familienverhältnisse eingearbeitet, einen polternden Bonvivant, dem die Altersdemenz zusätzliche Freiheiten verschafft. Mit hitzigen Debatten über Gleichberechtigung, Umweltschutz und französische Kriegsbeteiligungen stellt sich zusammen mit dem liebevoll gestalteten 70er-Jahre-Lokalkolorit in Ausstattung und Kostümen ein authentisches Lebensgefühl der Zeit ein, in der Fernseher noch eine Sensation und Handys weit entfernt waren.
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