Kritik zu Exil
Rassistisches Mobbing oder kognitive Dissonanz? In Visar Morinas packendem Psychodrama fühlt sich ein aus dem Kosovo stammender Ingenieur von einem unsichtbaren Feind bedroht
Eine tote Ratte hängt am Gartentor von Xhafers gepflegtem Haus. Selbst wenn, wie man später erfährt, Xhafer keine Rattenphobie hätte, ist es ein Signal von archaischer Bosheit. Da der Pharmaingenieur in einer Firma arbeitet, in der Tierversuche gemacht werden, liegt es nahe, den Täter dort zu vermuten. Xhafer, aus dem Kosovo stammend, glaubt, dass der Vorfall mit Rassismus zu tun hat. Mit Argusaugen beobachtet er seine nerdigen Kollegen. Als er bemerkt, dass er scheinbar von einer firmeninternen E-Mail-Liste gestrichen wurde und dadurch Termine verpasst, scheint sich sein Mobbingverdacht zu bestätigen. Seine Frau Nora, mit der er über sein Unbehagen zu reden versucht, wiegelt ab. Doch mit Xhafers wachsender Erschütterung – denn es gibt weitere tote Ratten – gerät seine bis dahin stabile Existenz, bestehend aus einem angesehenen Job und Familienleben mit drei kleinen Kindern, ins Wanken.
Regisseur Visar Morina, selbst aus dem Kosovo stammend, entwirft in seinem dritten Spielfilm das packende Psychogramm eines Mannes, der den Boden unter den Füßen verliert. Mišel Matičević verleiht ihm die gequälte Ausstrahlung eines Menschen, der vor Anspannung innerlich kocht. Der Schauspieler, bekannt aus Serien wie »Im Angesicht des Verbrechens« und »Babylon Berlin«, bringt einen dazu, sich mit Xhafer und seinen Hintergedanken zu identifizieren, selbst wenn dieser möglicherweise kein angenehmer Zeitgenosse ist.
Man entwickelt wie er ganz feine Antennen für die Frequenzen seiner Umgebung, versteht sein Misstrauen, das paranoide Züge annimmt. »Kommen Sie aus Kroatien? Ah, aus dem Kosovo! Interessant.« Für Xhafer schwingt in diesen höflichen Floskeln stets so etwas mit wie »Bravo, du hast seit einem Jahr keine Frau und keine Kinder mehr geschlagen«.
Xhafers zunehmender Tunnelblick findet seine Entsprechung in labyrinthischen Bürofluren, Türen, an denen er vergeblich anklopft, in einer kafkaesken Atmosphäre, die sich bis in sein Wohnhaus fortsetzt. Wird er von seiner Frau betrogen, oder projiziert er auf sie seine eigene Untreue? Er hat eine Affäre mit einer Putzfrau, mit der er in der Toilette kopuliert, und sich in seiner Muttersprache unterhalten kann. Mit ihr bekommt Xhafers prekäre Gefühlslage eine weitere Facette, denn sie steht in der Hierarchie ganz unten, repräsentiert ein Milieu, mit dem Xhafer nicht in Verbindung gebracht werden will. Fragt sie ihn vor seinen Kollegen bei Behördenproblemen um Hilfe, dann wimmelt er sie barsch ab; er will vor anderen nicht in seiner Muttersprache reden.
So erzählt dieser Film auch, außerordentlich nuanciert, vom Scheitern verbaler Kommunikation. Der betont neutrale, aller eventuell verletzender Anspielungen entkernte verbale Eiertanz in der Firma wirkt auf Xhafer, der die eigentlichen Informationen zwischen den Zeilen zu erhaschen versucht, wie Hohn. Ähnlich emotionslos und verhuscht ist die Ausdrucksweise von Nora. Sandra Hüller verkörpert sie als Ehefrau des Grauens, die, gefangen in passiv-aggressiver Grundgenervtheit, für Xhafers Zerrissenheit kein Ohr hat. Doch hat er ihr von den Ratten überhaupt erzählt? So souverän dieses Psychodrama in stilistischer Hinsicht ist, so wirken doch manche Nebenfiguren zu plakativ. Man ahnt etwa bei dem von Xhafer verdächtigten Kollegen Urs – schon weil er von dem zu lurchhaften Rollen verdammten Rainer Bock gespielt wird – die falsche Fährte.
Dann wieder gelingen Morina Szenen, die einem mit ihrer Dichte und Treffsicherheit den Atem rauben, etwa in Xhafers Ratten-Alpträumen. Oder in einer Bürokonferenz, in der nach einer hochtrabenden Rede über die Diversität im Team Xhafer überraschend von allen Anwesenden beklatscht wird ob seiner perfekten Integration. Es bleibt offen, ob es sich um einen Tagtraum handelt: Doch dieser Rassismus der Wohlmeinenden, der Blick der sich im überheblichen Gefühl ihres Gutseins suhlenden Kollegen auf Xhafer, bedeutet für diesen eine derart brutale Demütigung, dass man diese Szene nicht so leicht vergisst.
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