Kritik zu Encanto

© Walt Disney

Im neuen animierten Disney-Musical geht es einmal mehr um die Wichtigkeit der Familie. Zugleich werden aber auch die Gefahren einer alles überdeckenden Harmonie thematisiert

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Mirabel ist verzweifelt: Wieso hat sie im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern ihrer Familie keine magischen Fähigkeiten? Ihre Schwester Isabela kann Blumen blühen lassen, ihre andere Schwester Luisa ist mit großen Kräften gesegnet, Pepa kann mit ihren Gefühlen das Wetter beeinflussen und Dolores verfügt über ein ungewöhnliches Gehör, Camilo kann seine Gestalt verändern und Antonio mit Tieren kommunizieren. Einzig Mirabel hat nichts Entsprechendes vorzuweisen. Das macht sie zu einer Außenseiterin in dieser scheinbar so perfekten Familie, die in einem großen Haus am Rande eines Dorfes in den Bergen Kolumbiens lebt.

Nach Südostasien (»Raya und der letzte Drache«) nun Lateinamerika: Disney setzt sein Bemühen um eine bessere Repräsentation fremder Kulturen fort. Und anders als in früheren Zeiten geschieht das heute auch mit Talenten aus den entsprechenden Kulturen, denn Diversität wird bei Disney großgeschrieben, ein »cultural trust« gewährleistet, dass es jeder Film mit der Authentizität genau nimmt, anders noch als im 2000er »Ein Königreich für ein Lama«, bei dem sich keine lateinamerikanischen Talente unter den Sprecherinnen befanden.

Eine knappe Rückblende zeigt die Vorgeschichte der Familie Madrigal, die auf der Flucht vor gesichtslosen Männern auf Pferden ist, dabei wird der Ehemann von Alma getötet, die heute als »abuela«, spanisch für Großmutter, die Patriarchin der Familie bildet.

Eine magische Kerze mit einer nie erlöschenden Flamme ist das Zentrum ihres Hauses, sie verleiht den Kindern an ihrem fünften Geburtstag ihre spezielle Gabe, nur eben Mirabel nicht. Mittlerweile zu einem Teenager herangewachsen, macht sie sich entsprechende Sorgen. Ihr Selbstbewusstsein bekommt Risse, so wie die Risse in den Wänden des Hauses, die wiederholt vor ihren Augen auftauchen und schließlich das Verschwinden der Magie signalisieren. Der Versuch, das Geheimnis zu entziffern, bringt sie auf die Spur des verschwundenen Onkels Bruno, dessen Fähigkeit, die Zukunft vorhersagen zu können, immer wieder die Harmonie im Hause der Familie störte.

Das Lied »We don't talk about Bruno« verweist auf ein Familiengeheimnis, und zwar ein durchaus düsteres, das die Harmonie im Hause Madrigal mehr als eine beschworene denn als eine reale erkennen lässt. Nicht nur hier bringt der Songtext von Lin-Manuel Miranda (»In the Heights«, »Hamilton«) explizit etwas auf den Punkt.

Am Ende wird deutlich, dass auch familiäre Liebe manchmal auf Abwege geraten kann, dass Harmonie um jeden Preis nicht erstrebenswert ist. Damit setzt der Film durchaus Akzente und knüpft an die Doppelbödigkeit an, die frühere Filme von Regisseur Byron Howard wie »Bolt«, »Rapunzel – neu verföhnt« und »Zoomania« auszeichneten. Trotz aller Farbenprächtigkeit also kein Zuckerguss.

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