Kritik zu From Dusk Till Dawn
Wenn es damals, als wir vielleicht 12 Jahre alt waren, einer geschafft hat, in einen Film ab 16 oder gar ab 18 Jahren hineinzukommen, hat er den anderen die aufregendsten Momente detailgenau nacherzählt: all die blutigen Szenen aus Hammer-Horrorfilmen oder die Shoot-outs aus Halo-Western. Dabei kam es auch auf Gestik, Mimik und Geräusche an, die zur Explosion führen: das Klicken eines Abzughahns, das Knarren einer Salontür, der letzte Blick eines Desperado.
Die Filme von Robert Rodriguez erinnern mich an diese Kindheitserlebnisse. Sie sind Kintopp, bei dem die kleine Geste so wichtig ist wie das große Spektakel. Sie sind vielleicht infantil, jedoch in der kindlich-unschuldigen Freude an Bewegungen und Tönen. Oftmals gleichen sie Musikstücken: Manche Szenen sind Melodien, andere purer Rhythmus. Es ist kein Zufall, daß der Titelheld von EL MARIACHI und DESPERADO mit dem Musikinstrument so gut hantieren kann wie mit der Kanone. Zugleich steht dieser Virtuose der Action auch für den Filmemacher, der wie ein Revolverheld kunstfertig und verwegen mit der Kamera umzugehen weiß.
Nach DESPERADO und dem Episodenfilm FOUR ROOMS arbeitet Rodriguez bei der bizarren Action-Extravaganza FROM DusK TILL DAWN zum dritten mal mit Mr. Pulp Fiction zusammen. Tarantino hat das Drehbuch geliefert, das er vor einigen Jahren in seiner Zeit als Videothekar skizziert hat, und eine Hauptrolle übernommen. Er spielt Richard Gecko, den verrückten kleinen Bruder von Seth Gecko, den George Clooney darstellt, der uns bekannt ist als gutaussehender Arzt in der erfolgreichen TV-Serie Emergency Room, bei der übrigens wieder Tarantino eine Episode inszeniert hat.
Die Geckos, wohl nach den Wüstentieren benannt, sind zwei Gangster im schicken RESERVOIR DOGS-Outfit auf der Flucht durch Texas. Natürlich erinnern sie an Gangster-Paare aus dem Film Noir, mit Richie als Psychopathen und Seth als kühlen, beherrschten Outlaw. Doch sie lassen auch an Männerpaare aus Komödien denken, etwa an Jerry Lewis und Dean Martin. Richie ist der perverse nerd, unberechenbar, komisch in der ganzen Bedeutung dieses Wortes. Seth, der so heißt wie der ägyptische Totengott und wie der vergessene, geniale englische Regisseur Seth Holt, ist der sinnliche Bursche, der Chancen hat bei den Frauen, aber immer auf seinen jüngeren Bruder aufpassen muß, der durch seine Verrücktheit ein wirklicher Außenseiter ist. Seths mysteriöse Stammestätowierung, deren Muster sich vom Oberarm bis zum Hals schlängeln, macht ihn vollends zum ultracoolen Krieger im Comic-Alptraumland. Mit der Rolle des Seth dürfte Clooney den Durchbruch in Hollywood geschafft haben.
Die Mixtur aus Komik und Grausamkeit, aus Komödie und Gewalt-Oper, die FROM DusK TILL DAWN von Anfang an kennzeichnet, wird gerade bei uns viele Zuschauer verunsichern, die nicht mit den E.C. Comics, dem Exploitation-Kino und der Horrorfilmzeitschrift "Fangoria" aufgewachsen sind wie Rodriguez und Tarantino. Die Wortschöpfung "Fangoria" trifft dabei recht genau die Atmosphäre von Rodriguez' Film: der Name setzt sich zusammen aus "Fan" und "gore" (Blut ) und spielt auf den Begriff "Phantasmagorie" an. Bereits in FOUR ROOMS haben Rodriguez und Tarantino gezeigt, daß sie mehr noch von den überbordenden, oft knallharten Komödien eines Frank Tashlin und den witzigen und zugleich brutalen Cartoons eines Max Fleischer und Chuck Jones beeinflußt sind als von Peckinpah und John Woo.
Rodriguez und Tarantino mischen aber nicht nur die Genres und die Gattungen. FROM DusK TILL DAWN ist im Grunde eine Überraschungstüte mit zwei Filmen, wobei die gute alte Tradition des Double Feature angesprochen wird wie das vom Fernsehen gewohnte Channel Surfing.
Der erste Teil des Films ist sehr amerikanisch, sehr texanisch: ein abstruses Road Movie, in dem die Gecko-Brüder den von Gott enttäuschten Prediger Jakob Fuller mit seinen zwei Kindern kidnappen. Als eine Art AN EINEM TAG WIE JEDER ANDERE auf Rädern bezeichnet Rodriguez diese erste Hälfte, auf Wylers Bogart-Klassiker anspielend. Mit ihren Geiseln machen sich die Geckos nämlich in einem spießigen Wohnmobil auf zur mexikanischen Grenze. Im Niemandsland hinter der Grenze soll im Morgengrauen eine ominöse Geldübergabe stattfinden.
Man kann FROM DusK TILL DAWN sehen als eine Reise von Amerika nach Mexiko, vom flirrenden Tageslicht in die rabenschwarze Nacht. In vielen Western und Gangsterfilmen steht Mexiko für die letzte Chance, den letzten Zufluchtsort. Rodriguez zeigt diese letzte Hoff nung im zweiten Teil seines Films als absurden Alptraum. Von einem beinahe mythisch anmutenden Stand-up-Komiker werden die Geckos und ihre Geiseln in Mexiko empfangen: Cheech Marin spielt einen Grenzpolizisten, einen Drogenboß und den Rekommandeur für das "Titty Twister", die von der Dämmerung bis ins Morgengrauen geöffnete Biker-Bar, für die er mit einem unglaublichen, obszönen Pussy Rap wirbt. In dieser wüsten Kaschemme gibt es zu mitternächtlicher Stunde eine hinreißende Szene des Übergangs. Zum Staunen der muskelbepackten Trucker, tätowierten Biker, drallen GoGo-Girls, der Geckos und ihrer Geiseln tritt Rodriguez-Entdeckung Salma Hayek als ganz spezielle Disco-Queen Satanica Pandämonium auf. Zu den Klängen einer morbiden Rock'n'Roll-Band rührt sie mit einer Albino-Anaconda einen verführerischen Schlangentanz auf, ein bißchen Eva spielend, ein wenig Salome markierend. Sie bewegt sich sinnlich auf den Tisch der Geckos zu. Nicht nur dem geilen, gestörten Richie stockt der Atem in dieser Szene, die wie eine Mischung aus Sternberg-Camp und Glamour-Trash wirkt. Sie baut sich schließlich auf dem Tisch vor dem andächtigen Richie auf. Langsam steckt sie ihm ihren Fuß in den Mund und läßt Whisky über ihre nackten Schenkel rinnen, den Richie aufsaugen muß. Danach bricht die Hölle los, ganz wortwörtlich. Denn die Satanica verwandelt sich in eine blutrünstige Vampirin, und aus dem "Titty Twister" wird ein wahrer Night-Club der Hölle. Grenzen sind überschritten, ein für allemal.
Jetzt beginnt ein Horrorfilm, eine exzessive Horrorshow, die inspiriert ist von Raimis TANZ DER TEUFEL, Romeros Zombie-Filmen und Troma-Machwerken. Es ist Schluß mit Gerede, die Action beginnt. Daß Tarantino als Richie auf zugegebenermaßen erotische Weise der Mund gestopft wird, kann man durchaus ironisch sehen. Im zweiten Teil hat er nicht mehr viel zu sagen. Ein bunter Haufen rauft sich zusammen, um gegen die Monster des "Titty Twister" zu kämpfen: Gangster Gecko und der tatkräftige Prediger Fuller mit seinen Kindern, welche die Zöglinge von Oliver Stone und Steven Spielberg sein könnten. Dazu kommen ein Vietnam-Veteran, den Action-Oldtimer Fred Williamson spielt, und ein Super-Macho namens Sex Machine, den der legendäre Make-up Künstler Tom Savini, der viel für Romero gearbeitet hat, voller Spielfreude porträtiert. Harvey Keitel als Prediger wandelt sich in diesem zweiten Teil vom steifen, alttestamentarischen Charakter zur Erlöserfigur und kommentiert selbst ironisch seine eigene Leinwand-Persona.
Ein richtiges Hellzapoppin von einem Showdown zelebriert Rodriguez. Und die, die meinen, FROM DusK TILL DAWN sei ein unechtes B-Movie, seien gewarnt. Rodriguez gibt dem Zuschauer the real thing: die hohe Kunst der Geschmacklosigkeit, Grand Guignol in Reinkultur.
Der zweite, sehr mexikanische Teil ist eine Studie des Karnevalesken. Dem Tod wird ins Gesicht gelacht. Zugleich ist aber auch bei aller Verspieltheit eine gewisse Todessehnsucht zu spüren, eine seltsame Melancholie wie in den Filmen von Jodorowsky oder dem berühmten Mexiko-Roman "Unter dem Vulkan" von Malcolm Lowry.
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