Kritik zu Drecksau

© Ascot Elite

Painspotting: Jon S. Bairds Adaptiondes Romans von Irvine Welsh ist ein Trip in die Hirnwindungen eines exzessiven schottischen Polizisten, gespielt vom grandiosen James McAvoy

In England geht die Umgangssprache deutlich weniger zimperlich mit den staatlichen Ordnungshütern um als etwa in den USA oder hierzulande. Während die amerikanischen»Cops« neutral konnotiert sind und den deutschen»Bullen« immerhin ein kraftvoll-robuster Stallgeruch anhaftet, lässt die englische Zunge keinen Zweifel an ihrer Verachtung: Sie nennt den Polizisten schlichtweg »pig«.

Wenn es je einen britischen Gesetzeshüter gab, der diese Bezeichnung verdiente – im deutschen Titel noch zur »Drecksau« gesteigert–, dann ist es Detective Sergeant Bruce Robertson von der Kriminalpolizei in Glasgow. Sein Leben ist ein einziger hemmungsloser Exzess aus Sex, Drogen und jeder Art von Grenzüberschreitung. Er quält Verdächtige, missbraucht Minderjährige, schläft mit den Frauen seiner Kollegen, manipuliert mit sadistischem Vergnügen seine Umwelt, lügt und betrügt bei jeder Gelegenheit. James McAvoy, bärtig, rotäugig, aufgeschwemmt, spielt ihn mit einer erstaunlichen Mischung aus Virilität und Perfidie, mit einer ebenso brachialen wie feingeistigen Lust an der Gemeinheit. Er macht Robertson zum Ereignis.

Die Vorlage zu »Drecksau«, im Original schlicht »Filth«, stammt unverkennbar vom Bestsellerautor Irvine Welsh. Dessen Blicke in die Abgründe der schottischen Seele neigen stets zur lustvollen Übertreibung, zur extremen Zuspitzung. Im Kino verlangt diese Art von Literatur nach Künstlichkeit und Verfremdung, und Regisseur Jon S. Baird kommt bei seiner Adaption zu ähnlichen stilistischen Lösungen wie einst Danny Boyle in »Trainspotting«. Robertson führt mit einem pointierten Offkommentar durch das Geschehen, und sein Alltag entfaltet sich als lange Montagesequenz,in der Figuren, Schauplätze und schmutzige Rituale temporeich eingeführt werden. Robertson hat zwei Ziele: Er will einen Mord aufklären und seine Kollegen im Rennen um die nächste Beförderung ausstechen.

Bairds Adaption ist dabei treu eher im Geiste als im Detail; den sprechenden Bandwurm des Romans hat er klugerweise nicht übernommen. Seine Inszenierung ist so maßlos wie der Antiheld im Zentrum; sie ist selbst Rausch, Wahn, Delirium. Es dauert auch nicht lange, bis sich erste Irritationen und Brechungen in die Erzählung einschleichen. Wieso eigentlich taucht Robertsons Frau Carole (Shauna Macdonald) immer nur als erotische Göttin auf, die das Leben mit ihrem Mann in höchsten Tönen preist? Fehlen nicht Teile der Geschichte? Und welche Rolle spielt Dr. Rossi (Jim Broadbent), dessen Therapiestunden für Robertson zunehmend alptraumhafte Züge annehmen?

Baird spielt recht geschickt mit Ahnungen und Warnungen, sein Film ist ein überhitzter Beitrag zum Genre der Mindfucks à la »Brazil«, »Memento« oder »Fight Club«. Die entpuppen sich bekanntermaßen früher oder später als pathologische Studien, als Trips in die Köpfe ihrer Protagonisten, in denen der Wahrheitsgehalt der Bilder mit Vorsicht zu genießen ist. Auch wenn sich die Auflösung hier als eher unglaubwürdiger Twist entpuppt, fügt sie sich doch nahtlos ein in die schwarze Poesie eines Films, der die Ausschweifung zum Stilprinzip erklärt.

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