Kritik zu Die Welt sehen
Das Regie führende Schwesternpaar Delphine und Muriel Coulin erzählt von der modernen Militärpraxis, bei der Soldaten nach Kriegseinsätzen in »Dekompressions-Camps« wieder fürs Zivilleben eingestimmt werden sollen
Der Gegensatz könnte krasser nicht sein: Die Sonne strahlt vom wolkenlos blauen Himmel auf das sanft sich wiegende Meer, am weißen Sandstrand tanzen Bikini-Mädchen, die bunte Cocktails schlürfen, gut gelaunt das süße Leben feiernd. Und mittendurch marschiert ein Trupp Soldaten in viel zu warm wirkenden Uniformen und mit angespannten Mienen, sich sichtlich unwohl fühlend. Welchen Unfug haben die Befehlshaber sich da wieder ausgedacht? Einerseits. Andererseits die leicht bekleideten Mädels, die Verheißung einer Auszeit und unbeschwerten Vergnügens. Ja, von wegen!
Die Soldaten, von denen die Schwestern Delphine und Muriel Coulin in »Die Welt sehen« erzählen, kommen von einem Einsatz in Afghanistan, sie sind auf dem Rückweg in ihre Heimat Frankreich, sie legen einen dreitägigen Zwischenstopp ein auf Zypern. In einem hochklassigen Urlaubsresort im griechischen, also europäischen Teil der Insel sollen sie nach dem Willen ihrer Vorgesetzten durchatmen, bevor sie in die Normalität zurückkehren. »Dekompression« heißt das im Militärjargon und soll dem Stressabbau dienen. Eine Art »Erinnern-Wiederholen-Durcharbeiten«, das den Einsatzkräften die Gelegenheit gibt, in gemeinsamen Sitzungen vermittels »virtueller Realitätstherapie« respektive in Einzelgesprächen ihre Erlebnisse im Kriegs-, pardon: Krisengebiet zu rekapitulieren. Computergestützte Konfrontation von traumatischen Ereignissen – hier: ein Hinterhalt in Mobayan, der mehrere Todesopfer forderte –, die durch Bilder und in Worten bewältig- und überwindbar gemacht werden. Das klingt nach Science-Fiction, ist mittlerweile jedoch in einigen modernen, stehenden Heeren gängige Praxis, wenngleich die »Dekompressions-Camps« im Allgemeinen nicht in 5-Sterne-Wellness-Resorts durchgeführt werden.
Die luxuriöse Umgebung aber dient den Schwestern dazu, die aus dem scharfen Kontrast resultierende Spannung kontinuierlich zu steigern. Dabei kommt ihnen entgegen, dass sie ihre Narration auf drei weibliche Armeeangehörige fokussieren: zwei Soldatinnen, die beiden Kindheitsfreundinnen Aurore und Marine, sowie eine Krankenschwester, Fanny. Alsbald verlaufen die Konfliktlinien nicht mehr nur zwischen jenen, die das therapeutische Angebot nutzen und jenen, die der Meinung sind, dass man(n) über seine Ängste nicht redet. Sie verlaufen auch zwischen den Geschlechtern entlang eines immer weniger gedeckelten Seximus. Und dann wartet man eben darauf, dass etwas passiert. Dass die blank liegenden Nerven der Soldaten den zwangstherapeutischen Maßnahmen oder der Ahnungslosigkeit der Partypeople nicht mehr länger standhalten. Dass es zur Explosion kommt.
Und zur Explosion kommt es dann auch. Auf eine besonders hässliche Weise, die zugleich belegt, dass auch die modernsten Mittel nicht über das hinweg täuschen können, was eine Armee letztlich ist: eine Institution des Patriarchats, bestehend aus einem Haufen Männer, der Tod und Zerstörung bringt und anschließend heroische Lieder singt. Eine Institution, der das Verdrängen immanent, ja: wesensnotwendig ist.
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