Kritik zu Die Schachspielerin
Eine Frau entdeckt, welches Spiel eine Dame dominieren kann: eine Rolle wie eine zweite Haut für Sandrine Bonnaire, die kräftig mitgeholfen hat, dass aus dem Part so etwas wie ein Porträt geworden ist
Wenn Hélène (Sandrine Bonnaire) mit dem Fahrrad den Weg mit dem prachtvollen Panoramablick zum Hotel fährt, wo sie seit Jahren eine Stelle als Zimmermädchen innehat, fügt sich ihre zarte Gestalt wie ein zusätzlicher Blickfang in die steil abfallende Küstenlandschaft. Vor über fünfzehn Jahren ist sie ihrem Mann hierher nach Korsika gefolgt und hat sich angepasst. Große Sprünge können sie von seinem Hafenarbeiterlohn nicht machen, ihre Tochter schämt sich für ihre Mutter, die nichts gelernt hat und putzen geht. Zu viel Routine hat sich in dieses Leben eingeschlichen. Das bescheidene Leben einer einfachen Arbeiterfamilie. Bis eines Tages ein amerikanisches Pärchen auf dem Hotelbalkon sitzt und Schach spielt. Hélène beobachtet sie heimlich beim Bettenmachen – die andere Welt, in der es noch Zärtlichkeit, Unbeschwertheit und die Zeit für so etwas Unnützes wie ein Schachspiel zu geben scheint. Und dann gewinnt sie – die Dame. Es dauert nicht lange, bis Hélène herausgefunden hat, dass die »Dame« die mächtigste Figur in diesem Spiel ist. Es ist geradewegs so, als hätte sie ihr unbedeutendes kleines Leben lang auf diesen Augenblick und auf dieses Spiel gewartet.
Ihr Mann reagiert zwar nicht auf das Geburtstagsgeschenk, mit dem sie ihn für das neu entdeckte Spiel begeistern will, aber sie hat es gepackt. Überall im Freien scheinen plötzlich Schachbrettmuster aufzutauchen, vor allem entdeckt sie auch ein Schachbrett bei dem Einsiedler Dr. Kröger (Kevin Kline), bei dem sie einmal in der Woche putzen geht. Er ist zwar nicht gleich bereit, seine Putzfrau mit dem königlichen Spiel vertraut zu machen, aber dann spürt er das schlummernde Talent, das endlich zum Ausdruck drängt, die Dame, die sich aus ihrem Dornröschenschlaf erhebt, um das Zepter zu übernehmen.
Hélène ist keine Madame Bovary, die das Mauerblümchendasein einer gelangweilten Landarztfrau fortan mit den Ausschweifungen einer Femme fatale vertauschen will, sondern eine bodenständige, intelligente Frau, die sich und ihre Fähigkeiten nie erkundet hat und auf einmal – im spielerischen Umgang, aber nicht ohne Ehrgeiz – ihre Ressourcen entdeckt und daraus ein neues Selbstbewusstsein bezieht. Eine klassische, aber verhältnismäßig sanft verlaufende Emanzipationsgeschichte, bei der die Liebe zum Spiel nicht mit dem erotischen Seitensprung verwechselt wird. Keusch, aber elektrisierend, weil sich die Strategien des Schachspiels und das Setting des konzentrierten Gegenübers hervorragend dafür eignen, all das auszudrücken, was doch ungesagt bleiben muss. Und weil, wie auf einer unsichtbaren zweiten Ebene, Sandrine Bonnaires eigene Lebensgeschichte leise zum Schwingen gebracht wird: das Arbeiterkind aus der kinderreichen Familie, der wunderbare Aufstieg mit dem ersten großen Erfolg in Agnès Vardas »Vogelfrei«, sogar die Liaison mit dem Amerikaner William Hurt, aus der ihre erste Tochter stammt. Mit ihrer unaufdringlichen Stärke adelt Sandrine Bonnaire diesen kleinen Film, der fast ein Kammerstück ist.
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