Kritik zu Die langen hellen Tage

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Der georgische Oscarbeitrag 2014 hat von Berlin bis Tokio schon massenhaft Preise gewonnen. Völlig ­verdient, findet er doch für seine Geschichte vom Erwachsenwerden inmitten von Unruhe und Gewalt ­wundervolle Bilder

Bewertung: 4
Leserbewertung
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4.3 (Stimmen: 3)

»Das Leben ist so kurz, dass man das Ende schon spürt«, singen die Mädchen in einer der berührendsten Szenen dieses Films. Eines sitzt am Klavier, die anderen neun oder zehn stimmen beschwingt in das Lied ein, das von der bittersüßen Lust erzählt, dem kurzen Leben alles an Glück abzutrotzen, was man kriegen kann. Es könnte der Beginn einer ausgelassenen Party sein – doch da kommt schon die Mutter heim, eilig werden die Zigaretten aus dem Fenster geworfen, der Rauch hinausgewedelt. Als sie das Zimmer betritt, sitzen die Mädchen still am Tisch, über die Hausaufgaben gebeugt, am Klavier ertönt Chopin.

Das »Coming of Age« der beiden 14-jährigen Hauptfiguren Eka und Natia findet im Tiflis des Jahres 1992 statt, kurz nach der Unabhängigkeit Georgiens. In der Region Abchasien ist der Bürgerkrieg ausgebrochen, und Nana Ekvtimishvili und Simon Groß schildern in unspektakulären, doch höchst eindringlichen Alltagsbildern, wie Chaos und Gewalt in die Gesellschaft ein­sickern, die wie die Mädchen gerade dabei ist, ihren eigenen Weg zu suchen.

In den Nachrichten wird von Kämpfen berichtet, auch private Konflikte eskalieren zu blutigen Auseinandersetzungen, Waffen sind allgegenwärtig – und so normal, dass ein Verehrer Natia eine Pistole schenken kann, ohne bei ihr Befremden auszulösen. Katia wiederum gibt sie ihrer besten Freundin Eka, denn die soll sich wehren können gegen die Jungen, die sie auf ihrem Nachhauseweg von der Schule drangsalieren. Noch ein weiteres Mal wird die Pistole den Besitzer wechseln, mit dramatischen Folgen.

Über weite Strecken lauert die Gewalt kaum sichtbar im Hintergrund. Ekas Vater sitzt im Gefängnis, Natias Eltern befinden sich in ständigem Ehekrieg, der vom Alkoholismus des Vaters befeuert wird. Doch Eka und Natia sind ganz normale Teenager, die sich weniger mit Politik denn mit ihrer Freundschaft und ersten Romanzen beschäftigen, die zwar mit den Traditionen ihres Landes leben, doch immer wieder gegen diese rebellieren.

Nana Ekvtimishvili weiß genau, wovon sie erzählt. Sie selbst, Jahrgang 1978, wuchs in Tiflis auf, bevor sie in Potsdam Film studierte. Gemeinsam mit Simon Groß drehte sie 2007 »Fata Morgana«, einen minimalistischen Wüstenthriller, für den Groß als Regisseur mit dem Förderpreis Deutscher Film ausgezeichnet wurde. Abgesehen von Kurzfilmarbeiten sah man dann kaum noch etwas von den beiden – sie waren nach Tiflis gezogen und hatten eine Eisdiele eröffnet, die sich inzwischen zu einem kleinen »Eisdielen-Imperium« ausgewachsen hat.

Genauso unprätentiös wie diese Karriere kommt auch ihr Film »Die langen hellen Tage« daher. Er schwelgt nicht in düsteren Bildern und Fatalismus, ganz im Gegenteil. Das Bedrohliche lauert hier wie bereits in »Fata Morgana« im hellen Sonnenlicht, stimmungsvoll eingefangen von Kameramann Oleg Mutu, der auch Cristian Mungius »4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage« oder zuletzt »Jenseits der Hügel« fotografierte. So zurückhaltend »Die langen hellen Tage« gestaltet ist, mit langen Einstellungen und unaufdringlicher Metaphorik, so emotional mitreißend ist er, insbesondere durch die Konzentration auf seine beiden Filmdebütantinnen Lika Babluani und Mariam Bokeria. Ihre Präsenz verleiht dem Optimismus Glaubwürdigkeit, den der Film letztlich nahelegt, wenn er davon erzählt, wie der von Männern in Gang gesetzte Kreislauf der Gewalt durch ein neues weibliches Selbstbewusstsein durchbrochen wird.

Es ist wiederum eine musikalische Szene, die alle Kraft der jungen Eka widerspiegelt: Bei Natias Heirat bietet sie einen traditionellen Tanz dar, der eigentlich Männern vorbehalten ist. Die Kamera bleibt in einer einzigen langen Einstellung auf Augenhöhe, zeigt nur Ekas Oberkörper und ihr hochkonzentriertes Gesicht. Es wirkt wie ein ritualisierter Kampf, zwischen ihrem Freiheitsdrang und der Strenge der Tradition – ein Bild von unvergesslicher Anmut.

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