Kritik zu Die Friseuse
Eine Frau in XXL im Alltagsdschungel: Doris Dörrie hat in ihrem neuesten Film einer tapferen und unermüdlichen Stehauffrau ein Denkmal gesetzt
Kathi Königs Wurstpellenmode in fröhlichen Schockfarben betont ihr doppelreihiges Bauchfett, wenn sie durch den Berliner Vorort Marzahn stapft. Die Hauptfigur in Doris Dörries neuem Film scheint rund und lebendig auf all die künstliche Buntheit zu antworten, die von den aufgehübschten Plattenbaufassaden, Jobcenter-Interieurs und dem alles beherrschenden Einkaufszentrum abstrahlt.
Rote, grüne, blaue Strähnen im asymmetrischen Glatthaarschnitt und jede Menge Plastikobst als Schmuck setzen farbdramaturgisch gekonnte Kontraste bei der Friseuse, die ihr Handwerk beherrscht, aber keinen Job findet. Kathi König, von der Schauspielerin Gabriela Maria Schmeide mit rückhaltloser Offenheit vor der Kamera gespielt, könnte vielleicht als eines der Oversize-Models durchgehen, die sich neuerdings in der Mode Platz verschaffen – so grell sind die poppigen Kostüm- und Szenenbilder (Sabine Greunig, Susanne Hopf).
Aber der Speck dieser Frau kommt trotz allem Selbstbewusstsein von dem Frust und der Einsamkeit, gegen die sie sich mit Leberwurstschnitten und Fertigpizzen zu trösten versucht. Ihr Stil und ihre Lust, dem ungepflegten Durchschnittspublikum mit perfekten Haarschnitten zu mehr Ausstrahlung zu verhelfen, helfen wenig, ihre Bewerbung wird von der Chefin eines Friseurladens in einem Einkaufcenter (Maren Kroymann) abgelehnt, weil Kathi König »nicht ästhetisch« sei.
Körperlichkeit ist in »Die Friseuse« genau so knalliges Auftrittskapital, wie es anders überzogen die Comedy-Figur Cindy von Marzahn oder das Musical »Hairspray« zelebrieren, aber dieser Film zeigt seine Identifikationsfigur stigmatisiert, sensibel und angeschlagen. Morgens wuchtet sich Kathi König schwerfällig an einer Schnur entlang aus dem Bett, das Treppenlaufen – wenn der Lift einmal nicht funktioniert – bringt sie zum Schnaufen, und irgendwann kippt sie um und muss mit der Diagnose einer tödlichen Krankheit weiterleben.
Die Drehbuchautorin Laila Stieler wurde durch ihre Zusammenarbeit mit Andreas Dresen bekannt; sie hat etwa »Die Polizistin« (2000) geschrieben, in dem auch schon Gabriela Maria Schmeide die Hauptrolle spielte. Laila Stieler begnügt sich nicht mit den Absurditäten der Jobsuche oder Existenzgründung, sie rührt einen Cocktail um ihre quirlige Heldin zusammen, in dem nichts fehlt, was zu einer Sozialkomödie über Ostberliner Befindlichkeiten gehört: das Grundgefühl, als qualifizierte Arbeitskraft entwertet zu sein, Scheidungs- und Mutter/Tochter-Konflikte, Randerscheinungen unserer Seniorengesellschaft, vietnamesische Subkultur und illegale Einwanderung.
Nach der Scheidung aus der ostdeutschen Provinz in eine »Platte« gezogen, hält Kathi die Verachtung ihrer spröden Tochter Julia (Natascha Lawiszus) aus, die Vaters alte Hemden trägt, viel vom Geld versteht und sich auch sonst durch Verachtung von ihrer Blickfang-Mama distanziert. Die will einen eigenen Salon aufmachen, in einem leeren Asia-Imbiss und unmittelbar gegenüber dem Laden, in dem sie abgelehnt wurde. Und das, obwohl alle ihr davon abraten. Das Geld dafür verdient sie als fliegende Friseuse in Seniorenheimen, ohne Gewerbeschein. Als dieses Geschäft auffliegt, lässt sie sich von einem komischen Vogel (Rolf Zacher) als Schlepperin anheuern und bringt vietnamesische Flüchtlinge im Privatauto über die polnisch-deutsche Grenze. Es geht schief, was schief gehen kann, auch wenn eine angenehm komische Bettszene mit Kathis vietnamesischem Kurzzeit-Lover dazwischenkommt. Hinzu kommt noch, dass sowohl das Gesundheitsamt als auch die Berufsgenossenschaft ihr Schwierigkeiten bei der Eröffnung des neuen Frisiersalons machen.
Das Buch legt den alten Berlin-Mythos von der Unkaputtbarkeit seiner Heldin neu auf: unversiegbar gute Laune, wehrhafter Humor, trotziger Überlebensmut zeichnen sie aus. Doris Dörrie, zuletzt mit »Kirschblüten – Hanami« im Kino, hat mit kleinem Team schöne Milieu-Beobachtungen herausgeholt und all die exaltierten Unwahrscheinlichkeiten zu einem Feelgood-Movie herausgeputzt.
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