Kritik zu Das andere Rom

© Kairos

2013
Original-Titel: 
Sacro GRA
Filmstart in Deutschland: 
26.03.2015
L: 
95 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Gianfranco Rosi sammelt in seinem Dokumentarfilm skurrile, beschauliche und erhellende Einblicke rund um Roms Autobahnring herum – und erhielt dafür auf dem Filmfestival von Venedig 2013 den Goldenen Löwen

Bewertung: 3
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Was haben Thekentänzerinnen, Schafherden und Flugzeuge gemeinsam? In diesem Film vor allem eins: Sie befinden sich an der Peripherie der italienischen Hauptstadt. Genauer: in Nachbarschaft des Autobahnrings »Grande Raccordo Anulare«, der sich um Rom herum durch das vorstädtische und fast ländliche Latium frisst. Und: Sie haben die Aufmerksamkeit des Dokumentarfilmers Giancfranco Rosi erweckt, der sie zu Darstellern seines Films gemacht hat. Die Straße selbst ist dabei nur Statistin und Tonkulisse im Hintergrund; sie taucht manchmal kurz am Bildrand einer Totalen auf oder vor dem Lenkrad des Rettungswagens, mit dessen nächtlicher Einsatzfahrt der Film beginnt.

Dessen Sanitäter gehört zu der Handvoll Personen, die zwischen vielen nur einmal hereinschauenden Menschen so etwas wie Hauptdarsteller sind. Die anderen: Ein Herr mit fürstlichem Stammbaum, der ein weitläufiges, trashig dekoriertes Anwesen wechselnd als Location für Fotoromane und Empfänge oder als Bed & Breakfast vermietet. Ein Schädlingsbekämpfer, der mit Hightech die Fressgeräusche des berüchtigten Roter-Palmrüssler-Käfers aufzeichnet, der – einst aus Asien eingewandert – nun auch in Rom die Palmenpopulation dezimiert. Zwei nicht mehr ganz junge Prostituierte in einem Wohnwagen. Ein Fischer, der unter einer Autobahnbrücke am Tiber seine Hütte hat. Und einige anscheinend frisch dort einquartierte Bewohner eines Hochhauses.

Dabei macht der Verzicht des Films auf jede topographische Struktur schnell klar, dass es sich hier keineswegs um ein Stadtporträt handelt. Verstehen lässt sich Sacro GRA (das auf Italienisch auch den Heiligen Gral assoziiert) eher als Annäherung an den Zustand einer Gesellschaft, die zur zweijährigen Drehzeit des Films gerade den Fängen des Cavaliere Berlusconi entkommen war. Wobei der Film etwa im Bild der maßlos gierigen Maden, die nun von innen her ihr zerstörerisches Werk tun, eher grobmetaphorisch als diagnostisch getroffen scheint.

Aber vielleicht ist solche Hilflosigkeit ja symptomatisch für die italienischen Zustände. Dennoch bleibt der Eindruck, dass Rosi sich mit der großen panoramatischen Form übernommen hat. Stärkstes Element seines Films sind die von einer starren Kamera durch das Fenster gedrehten Einblicke in mehrere Wohnungen eines Hochhauses, deren Bewohner im Gegenzug sich über den Blick aus ihren Fenstern auf andere ihnen mysteriös erscheinende (und für uns nie zu sehende) Häuser unterhalten.

Da bekommt der Film eine Dichte, die ihm an vielen anderen Momenten fehlt. Die Jury unter Präsident Bernardo Bertolucci, die Rosis Film 2013 in Venedig den Goldenen Löwen zusprach, sah das offensichtlich anders. Es wird immer wieder geschrieben, Sacro GRA sei der erste Goldene Löwe für einen dokumentarischen Film. Das stimmt so zwar. Aber man sollte nicht verschweigen, dass 1938 die höchste Auszeichnung des Festivals an Leni Riefenstahls Olympia-Film ging. Nur hieß die damals noch Coppa Mussolini.

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