Kritik zu Bibliothèque Pascal
Simplicissimus auf Neu, Osteuropäisch und Weiblich? Im Film des Ungarn Szabolcs Hajdu begibt sich eine Frau auf Irrwege durchs postkommunistische Europa
An berühmten Vorbildern hat es dem ungarischen Filmemacher Szabolcs Hajdu bei seinem modernen Märchen von den Abenteuern einer jungen Frau in der Kälte der globalisierten Welt des postkommunistischen Ostblocks mit Sicherheit nicht gefehlt. Dafür sind die Verweise auf die Film- wie auf die Literaturgeschichte einfach zu mannigfaltig. Zudem hat er sie auch noch so weit wie nur möglich gestreut. Die Feiern des Karnevalesken, die Federico Fellini und Emir Kusturica in ihren Filmen ein ums andere Mal zelebriert haben, standen ihm genauso Pate wie die Ideen der französischen Surrealisten mit all ihren sadomasochistischen (Alp)Träumen von einem entfesselten Eros. Aber Vorbilder alleine machen, selbst wenn sie über jeden Zweifel erhaben sein sollten, eben noch kein Kunstwerk.
Das Leben der jungen Mona Paparu (Orsolya Török-Illyés) stand bisher nicht gerade unter einem guten Stern. Nun hat sie auch noch ihre kleine Tochter an die Behörden verloren. Wenn sie eine Chance haben will, das Mädchen zurückzubekommen, muss sie einen Mitarbeiter des Jugendamts davon überzeugen, dass die Kleine es bei ihr gut haben wird. Doch zunächst soll sie einfach nur erzählen, was ihr und ihrer Tochter passiert ist.
Mona erzählt von einem Mörder, dem sie am Strand begegnet ist. Der hat sie als Geisel genommen und noch in derselben Nacht geschwängert. Am nächsten Tag wurde er dann von Polizisten erschossen. Dann kommt sie auf ihren Vater zu sprechen, der sie unter falschen Vorspiegelungen nach Wien lockt. So landet sie schließlich in den Fängen von Frauenhändlern, die sie in Liverpool an den Besitzer eines S/M-Bordells namens Bibliothèque Pascal verkaufen. Dort muss sie aufgemacht als »Joan of Arc« reichen Klienten zu Willen sein. Aber ein Wunder und eine Wiederauferstehung bringen ihr die Rettung.
Erinnerungen an klassische Schelmenromane drängen sich bei dieser simplen Nacherzählung auf. Szabolcs Hajdu stellt seine abenteuerliche und dabei doch ganz brave Mona in diese Traditionslinie und fügt ihr zumindest augenscheinlich ein feminines Element hinzu. Doch schon dieser Augenschein trügt. Die »Bibliothèque Pascal« ist eine reine Männerfantasie. Das beginnt schon bei Monas Liebhaber, der ihr voller Stolz davon erzählt, wie er einen Homosexuellen getötet hat, und dabei dieses Verbrechen aus Hass zum Kavaliersdelikt stilisiert.
Mona mag den Ansprüchen der Männer entkommen und ihre Unabhängigkeit behaupten wollen, aber Szabolcs Hajdus gelackte Bilder von ihr reduzieren sie auf ein Objekt reiner Schaulust. Was behauptet satirisch zu sein, ist in Wahrheit nur affirmativ. Und so wird schließlich auch Hajdus penetrant ausgestellte Virtuosität, dieses ständige Spiel mit Traum und Wirklichkeit genauso wie die protzenden Kamerafahrten und die aufdringlichen, eine Poesie eben nur behauptenden CGI-Effekte, als das kenntlich, was sie in Wahrheit ist: schales Kunstgewerbe.
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