Kritik zu Beuys
Mit ungeheurer Materialfülle versucht Filmemacher Andres Veiel den politisch ästhetischen Hintergrund von Josef Beuys zu beleuchten und verlässt sich dabei ganz auf seine Montagefähigkeit
»Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt« – so lautet provokativ unverständlich der Titel eines Kunstwerks von Josef Beuys, der Anfang der 70er Jahre, als Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, für einen neuen Kunstbegriff eintrat. Seine Idee, dass jeder Mensch ein Künstler sei, ließ eine Begrenzung der Studentenzahlen nicht zu. Statt 30 Schüler befanden sich 268 Studenten in seiner Klasse. Er hatte einfach alle Abgewiesenen selbst aufgenommen. Als er dann mit Studenten das Sekretariat besetzte, entließ ihn Ministerpräsident Rau fristlos. Das war der Beginn der Free International University (FIU), die bis zu seinem Tod bestand.
Provokation, ein erweiterter Kunstbegriff und kreatives Mitgestalten der Gesellschaft und der Politik, das waren Beuys' Themen und Motor einer neuen Kunst, die schon bald zur bedeutendsten der bundesdeutschen Nachkriegszeit aufsteigen sollte. Beuys wurde zur Ikone, und das, obwohl ihn die meisten immer noch nicht verstanden. Seine Soundinstallation: »Jajajajaja – neeneeneeneenee« trägt dieser Verständnislosigkeit Rechnung.
Andres Veiels Dokumentarfilm will Beuys nicht erklären, sondern porträtieren. Er hat dazu die unglaubliche Menge von 400 Stunden Bildmaterial, 300 Stunden Audiomaterial und über 20.000 Fotos ausgewertet und daraus eine bruchlos wirkende Collage geschaffen. Er verzichtet auf jeden Kommentar aus dem Off, stattdessen lässt er Beuys für sich selbst sprechen. Das führt zu einer Verdichtung der Thesen und damit notwendigerweise auch zu einer gewissermaßen unkritischen Haltung: Der Film ist damit nicht mehr als sein Material, und sei die Montage noch so kunstvoll, noch so versiert. Wer also eine Demontage erwartet, eine Kritik der etwas banalen politischen Einmischung durch Parteimitgliedschaft bei den Grünen etwa, wird lange suchen müssen. Dafür werden andere Stereotype, die oberflächlich biografischen Bezüge zu seinem Material Filz und Fett zum Beispiel, nicht reproduziert. Veiel dokumentiert den Künstler aus seinem eigenen öffentlichen Auftritt heraus. Dabei steht er weder hinter noch neben ihm sondern abseits, dort wo der gesellschaftliche Widerhall seiner Kunst zu Ablehnung und Befürwortung geführt hat. Veiel urteilt nicht, sondern schaut zu und findet in seinem Material das, was den Künstler antrieb.
Es ist erstaunlich, wie die Szenen ineinandergreifen, wie aus dem fotografischen Kontaktabzug eine künstlerische Position nach der anderen entwickelt wird, wie Beuys als Person zurück und als Institution hervortritt. Dieser Film ist investigativ, nicht in dem Sinne, dass er versteckte, unbekannte Seiten von Josef Beuys offenlegen würde, sondern indem er versucht zu bündeln und zu konzentrieren, was Beuys an verschiedenen Stellen über sich, sein Werk und seine Weltsicht verbreitet hat. Und dann wird vor allem deutlich, dass man die Einzelwerke, die Honigpumpe, die 1.000 Eichen bei der documenta in Kassel oder die Straßenbahnhaltestelle, die in keiner Form vermuten lässt, was der Titel verspricht, im Einzelnen verstehen muss, um zu erkennen, was Beuys wollte. Und damit ist schon viel erreicht.
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