Kritik zu Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann

© Mindjazz Pictures

2024
Original-Titel: 
Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann
Filmstart in Deutschland: 
07.11.2024
L: 
91 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Der semifiktionale Dokumentarfilm über Thomas Mann lässt den Schriftsteller mit seiner Figur Felix Krull verschmelzen und zeigt den Mann, der er hätte sein können

Bewertung: 4
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Thomas Mann (1875–1955) war Schriftsteller und Schauspieler zugleich. »Die kunstvolle Selbststilisierung – das war sein Element. Die diskrete Selbstinszenierung – das war die Basis seiner Existenz«, hat der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki festgestellt. Grundelemente von Manns Persönlichkeit waren für Reich-Ranicki der Hang zum Theatralischen und die Leidenschaft für das Komödiantische. In keinem der Werke Manns kommen diese Facetten so wirkmächtig zum Ausdruck wie in dem Roman »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull«. Die 1954 erschienenen »Bekenntnisse« (Untertitel: »Memoiren erster Teil«) waren die Frucht jahrzehntelanger Beschäftigung; »Felix Krull« war Manns ständiger Begleiter seit 1905.

Der Kölner Filmemacher André Schäfer erweist sich als intimer Kenner von Manns Buch und Biografie. Mit »Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann« vereint er eine dokumentarische Studie mit fiktionalen Szenen. Mit einem Ausschnitt aus Viktor Tourjanskys Stummfilm »Manolescu – der König der Hochstapler« aus dem Jahr 1929 bekennt sich Schäfer zu einer Inspirationsquelle für seine »Bekenntnisse«; der reale Fall des Rumänen Manolescu hatte den Dichter Thomas Mann maßgeblich beeinflusst.

Sebastian Schneider erscheint zu Beginn als androgyner Dandy Felix Krull mit türkis lackierten Fingernägeln. Er ist häufig im Rock zu sehen. In einem Studio tritt er wie ein Schauspieler auf, der Manns Text vor dem Mikrofon für ein Hörbuch einliest. Danach nimmt Janis Mazuchs Kamera Krull an Stationen seines fiktiven Lebens auf – sei es im Sektkeller des Vaters im Rheingau, bei der Musterung oder beim Tennis – und begleitet ihn bei Aufenthalten in Paris, Lissabon und Los Angeles. In einem Atelier arbeitet der Maler Friedel Anderson an einem Porträt von Schneiders Krull; ganz zum Schluss revidiert er die Fassung und verwandelt Krull in Thomas Mann. Der Autor und der Darsteller des Hochstaplers verschmelzen. Schneider verkörpert immer virtuoser einen Mann, der Mann hätte sein können oder wollen. Einer, der seine Homosexualität genießt und sich nicht angesichts seiner »sexuellen Problematik« fragen muss: »Woran leide ich? An der Geschlechtlichkeit . . . wird sie mich denn zugrunde richten?«

Die Fiktion ergänzt der Film durch Fakten. Thomas Mann ist in historischen Filmaufnahmen zu sehen, die Drehbuchautoren Jascha Hannover und Hartmut Kasper zi­tieren ausgiebig aus Briefen, Tagebüchern und Notizen Manns. Seine Frau Katia sowie die Kinder Erika und Golo kommen zu Wort – Golo erinnert sich an die erzwungene Ruhe im Hause des Großschriftstellers. Im Hintergrund entfaltet sich Zeitgeschichte: Aufstieg und Fall der Nazis, Flucht der Familie in die Schweiz und in die USA, 1952 Rückkehr in die Schweiz, 1955 die Ehrenbürgerschaft in Lübeck und der Tod. Der kunstvoll inszenierte Film erschafft sich einen gleichberechtigten Platz neben der 2011 veröffentlichten kommentierten »Krull«-Ausgabe mit insgesamt 1356 Seiten. Ein Vorteil: Schäfers Film dauert nur 91 Minuten.

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