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Als ich mich gleich zum Filmstart ins Kino begab, war – von mir unerwartet – auch der Regisseur André Schäfer im Publikum anwesend und kam es nach der Vorführung zu einer interessanten Diskussion. Ich beteiligte mich gern daran, sagte aber auch, dass ich noch etwas nachdenken möchte, um mir ein adäquates Urteil bilden zu können. Manche von den folgenden Aussagen machte ich schon im Kino, andere kamen nun hinterher hinzu.
Zunächst freue ich mich außerordentlich, dass aktuell ein Film zum Thema „Thomas Mann“ angelaufen ist – genau 100 Jahre nach Erscheinen des Romans „Der Zauberberg“ und ebenso exakt 70 Jahre nach Herausgabe der „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Eine passende Einstimmung vielleicht auch auf das nächste Jahr, in dem Thomas Manns hundertfünfzigster Geburtstag gefeiert werden wird.
Als dokumentarisch sehr wertvoll empfinde ich besonders die zahlreichen Originaltöne und -Bilder des Schriftstellers sowie die akribischen Mühen des Regisseurs, auch im Handlungsteil ausschließlich Roman-Formulierungen Thomas Manns selbst zu verwenden. Für mich persönlich wird der Film auf diese Weise zum anschaulich-anhörbaren Genuss einer Sprache, wie sie wohl nur diesem Dichter eigen ist.
Zwei Irrtümer indes enthält das Filmkunstwerk (neben ein paar anderen Ungereimtheiten), der erste davon wurde offenbar versehentlich gemacht. Andrè Schäfer lässt den Beginn des Films im Gefängnis spielen, weil er glaubt, Felix Krull habe seine Memoiren dort geschrieben. Tatsächlich verfasste er sie jedoch (laut Plan von TM – und naturgemäß fiktiv) in England, nachdem er der Haft entkommen konnte. Im ausführlichen Kommentar-Band des Fischer-Verlags zum Roman, mit dem der Regisseur nach eigenen Angaben arbeitete, ist dieser Sachverhalt auch genau so ausgeführt. (S.242ff) Ohnehin hatte Thomas Mann ja eigentlich weitere Teile der „Memoiren“ vorgesehen, während der für uns lesbare „Felix Krull“ somit Fragment blieb, dem verschiedene Lebensstationen des Hochstaplers folglich fehlen, u.a. die Gefängnisaufenthalte als überführter Hoteldieb und –wie bereits erwähnt – auch der spätere Fluchtort England, wo er sich als Vierzigjähriger schließlich zur Ruhe setzt und nun in „völliger Muße und Zurückgezogenheit zur Feder greift“ – wie es der berühmte erste Satz des Romans zu berichten weiß.
Den zweiten Irrtum beging Herr Schäfer bewusst, wie er in der Diskussion auf meine Nachfrage hin, bestätigte: Statt dass Felix Krull nämlich am Ende des letzten Kapitels mit Dona Maria Pia, der Mutter seiner Freundin Zouzou, schläft und mit ihr zum Orgasmus kommt, was bei Thomas Mann recht kurz, aber deutlich gehalten ist („Holé! Heho! Alé!, rief sie mit prächtigem Jubel.“), präsentiert der Film – dies in langer Einstellung – zwei Männer beim Liebesspiel.
In keinem seiner acht Romane, überdies auch nicht in der Novelle „Der Tod in Venedig“, hat Thomas Mann das homoerotische Motiv, welches seine Werke bekannterweise durchzieht, je in dieser direkten Form zur Darstellung gebracht. Der Regisseur aber meinte, wie er ausführte, ihm diesen „Sehnsuchtswunsch“ in seinem eigenen Filme nun „wenigstens einmal“ zu erfüllen.
Soweit so gut, es gilt – was Literaturinterpretationen betrifft – Polysemie. Und jede Literaturverfilmung ist nichts anderes als eine Interpretation, eben ein besonderer Blick auf das Geschriebene. Über Geschmack allerdings lässt sich streiten.
Zu Lebzeiten Thomas Manns war Homosexualität unter Strafe gestellt. Als angehender Schriftsteller entschied er sich, seine eigene Neigung in dieser Hinsicht nicht (öffentlich) auszuleben (im Gegensatz z.B. zu einigen bekannten Dichter-Kollegen), sondern auf bürgerliche Art eine Familie zu begründen.
Zugleich verstand er es, besagte Thematik in den verschiedensten Variationen immer wieder zu berühren – und zwar meisterhaft – doch immer in einer gewissen Distanz verbleibend. Währenddessen schuf er ebenso wunderbare Frauenfiguren wie etwa Madame Chauchat, deren erotischer Anziehung Männer wie Hans Castorp durchaus verfallen konnten – dies wiederum sehr nachvollziehbar für eine engagierte Leserschaft.
Insofern hätten m.E. auch dem aktuellen Krull-Film ein paar Frauenfiguren aus dem Roman gut getan (nicht nur ein männlicher Hauptdarsteller in allen möglichen Rollen und Lebenslagen) – Frauen also bildlich erfahr- und erlebbar, und nicht allein als verschriftlichte Zitaten-Lieferantinnen genutzt, wie es jetzt leider der Fall ist.
Zu guter Letzt noch ein Wort zum Titel: Hauptidee von André Schäfer ist das Verschmelzen von Thomas Mann mit seinem Protagonisten Felix Krull. Und in der Tat drängt sich da manche Ähnlichkeit auf, das will ich keineswegs bestreiten. Thomas Mann aber schrieb im Laufe von Jahrzehnten einiges mehr an Geschichten und es dürfte in diesen etliche Figuren geben, die etwas von ihrem Autor haben. Und neben dem hochstaplerischen Element existieren da bestimmt noch viele andere, so dass der Name „Zauberer“, den Thomas Mann in seiner Familie trug, sehr trefflich gewählt zu sein scheint.
Würde man daher einen Film nach Thomas Mann benennen wollen, würde ich – wenn schon, denn schon – „Bekenntnisse eines Zauberers“ vorschlagen. Im vorliegenden Exempel aber hätte es relativierend zumindest „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Mann“ (oder alternativ: Thomas Krull) heißen sollen – denke ich.

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