Kritik zu Back to Maracanã
Ein fußballfanatischer Exil-Brasilianer jüdischer Herkunft verwirklicht sich einen Lebenstraum mit der Reise zur Fußballweltmeisterschaft 2014 in seiner alten Heimat
Das Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro steht für die Magie des Fußballs schlechthin. Allerdings haben die Brasilianer hier auch das Endspiel der Weltmeisterschaft von 1950 gegen den Erzrivalen Uruguay verloren. Und so ist dieser Tempel für fußballverrückte Brasilianer auch zum Symbol einer unvergessenen Schande geworden. Zwischen diesen beiden Extremen, der Euphorie des Triumphs und dem zermürbenden Gefühl der Niederlage, bewegt sich auch die Geschichte des jüdischen Exil-Brasilianers Samuel, der seit den 50er Jahren in Tel Aviv lebt. Als ihm eine Herzoperation mit ungewissem Ausgang droht, kratzt er alle Ersparnisse zusammen, um nach Brasilien zur Weltmeisterschaft zu fliegen. Einmal noch will der alte Mann live miterleben, wie die Ballzauberer vom Zuckerhut nach dem Titel greifen: Back to Maracanã.
Inszeniert hat diese melancholische Komödie Jorge Gurvich, ein Argentinier, der 1978 nach Israel ausgewandert ist. Das Drehbuch, das er zusammen mit Hagi Lifshitz verfasste, spannt einen unerwarteten Bogen zwischen drei Ländern und drei Generationen. Nach Brasilien gereist ist Samuel zusammen mit seinem Sohn Roberto, der die Fußballverrücktheit geerbt hat, ansonsten aber ein Taugenichts ist und als 40-Jähriger noch bei seinem Vater wohnt. Weil dessen Exfrau Tali ihren gemeinsamen Sohn Itay überraschend bei ihm parkt, muss Roberto den Jungen nach Brasilien mitnehmen. Für den Elfjährigen ist dies die Höchststrafe, denn ihn interessiert Fußball nicht im Geringsten.
Zu allem Überfluss sind in Brasilien alle Hotels ausgebucht. Kurzerhand kauft Samuel ein abgewracktes Wohnmobil, mit dem das ungleiche Trio durch das Land tuckert. Während die drei ein WM-Spiel nach dem anderen verpassen, versöhnt Samuel sich allmählich mit seinem entfremdeten Sohn, derweil Roberto einen Zugang zu seinem introvertierten Sohn Itay findet. Die warmherzig inszenierte Geschichte hat ihre Momente, ist allerdings nur mäßig originell. Elektrisierend wirkt der Film aus einem anderen Grund: So treffen Samuel und Roberto immer wieder auf deutsche Schlachtenbummler in schwarz-rot-goldenen Umhängen, die ausgelassen feiernd durch brasilianische Straßen ziehen. Das beklemmende Gefühl dieser Begegnungen mit den Deutschen ist beinahe körperlich spürbar, wird jedoch geschickt unterspielt.
Fußball, so viel wird von Minute zu Minute deutlicher, wird in diesem Roadmovie zu einem Symbol für ein ganz anders Thema. Und so findet der Showdown nicht im Maracanã statt, sondern in Belo Horizonte – wo die Brasilianer bekanntlich am 8. Juli 2014 eins zu sieben untergingen: ausgerechnet gegen Deutschland. Diese historische Schmach hat für die beiden jüdischen Exil-Brasilianer nicht nur eine sportliche Dimension. Auf eine irritierende Weise wird plötzlich das Unausgesprochene präsent. Die indirekte Thematisierung des Holocaust, der mit keiner Silbe erwähnt wird, aber dennoch wie ein Elefant im Raum steht, verleiht diesem Film eine eigenartige Unterströmung.
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