Kritik zu Almodóvar Shorts: Strange Way of Life/The Human Voice
Ein Western und ein Kammerspiel: Zwei filmische Miniaturen von Pedro Almodóvar als Doublefeature
Von Sehnsucht, Leid und Unruhe im Herzen klagt die Ballade »Estranha Forma de Vida« der portugiesischen Fado-Sängerin Amália Rodrigues, dessen Titel sich Pedro Almodóvar für sein queeres Kurzwesternmelodram »Strange Way of Life« entlehnt hat. Gleich zu Beginn erklingt das Lied, hier allerdings aus männlicher Perspektive, gesungen von dem Brasilianer Caetano Veloso, als ein Cowboy namens Silva (Pedro Pascal) allein durch staubiges Niemandsland reitet. Sein Ziel ist das verschlafene Nest, das er seit 25 Jahren nicht betreten hat. Sein alter Freund Jake (Ethan Hawke) ist dort inzwischen Sheriff. Ihr Wiedersehen, zunächst warm und herzlich, sorgt bald für ambivalentere Emotionen. Denn Silva und Jake waren in ihrer Jugend weit mehr als gute Freunde, wie eine Rückblende, in der sie als junge Männer in einem Weinkeller gierig übereinander herfallen, deutlich macht. Die Affäre dauerte nur kurz. Doch auch ein Vierteljahrhundert später erinnert sich Silva »an jeden einzelnen dieser 60 Tage« und flirtet ungeniert, während der grummelige Jake die Sache lieber vergessen würde. Bis ihre Leidenschaft füreinander doch wieder auflodert. Aber Silvas Rückkehr hat noch einen anderen Grund, der Almodóvars Halbstünder einen weiteren Twist und Tiefe verleiht. Und anders als die tragische Liebesgeschichte in »Brokeback Mountain« gönnt der 74-jährige Regisseur seinen beiden Cowboys zumindest einen Moment der Utopie.
»Strange Way of Life«, entstanden in Kooperation mit dem französischen Modehaus Saint Laurent und dessen jungem Kreativ-Chef Anthony Vaccarello, feierte seine Weltpremiere vergangenen Mai in Cannes. Es ist Almodóvars zweiter Kurzfilm seit der Pandemie. Der erste entstand 2020 und handelt ebenfalls von Liebesschmerz und einem gebrochenen Herzen. »Die menschliche Stimme« basiert auf dem gleichnamigen Einakter von Jean Cocteau, der Monolog einer verlassenen Frau, gespielt von der unvergleichlichen Tilda Swinton. Almodóvar inszeniert ihre emotionale Achterbahnfahrt als aufgeladenes Kammerspiel, gedreht im Studio während des Lockdowns.
Spätestens seit dem Oscar als bester fremdsprachiger Film 1999 für »Alles über meine Mutter« versucht Hollywood den spanischen Autorenfilmer zu locken. Doch Almodóvar wollte nie Auftragsregisseur werden, sondern Filme zu seinen Konditionen drehen, mit Bruder Agustín und der gemeinsam geführten Produktionsfirma El Deseo. Und so lehnte er vor 20 Jahren das Angebot ab, eine Kurzgeschichte von Annie Proulx über die heimliche Liebe zweier Cowboys zu verfilmen, die dann unter der Regie von Ang Lee als »Brokeback Mountain« Filmgeschichte schrieb. »Strange Way of Life« ist auch eine späte Replik darauf.
Dazwischen hatte es diverse Versuche gegeben, andere Stoffe in den Vereinigten Staaten zu realisieren, aus denen aus unterschiedlichen Gründen nichts wurde. Lange hielt Almodóvar seine Englischkenntnisse für nicht ausreichend, um Dialoge mit all ihren Nuancen zu inszenieren. Sein Faible für nordamerikanische Schriftstellerinnen übertrug er in seine spanische Heimat, sowohl »Zerrissene Umarmungen« als auch »Parallele Mütter« basieren auf Kurzgeschichten der kanadischen Schriftstellerin Alice Munro. Zuletzt arbeitete Almodóvar eine Weile an einer Adaption aus Lucia Berlins »Was ich sonst noch verpasst habe« mit Cate Blanchett als seinem englischsprachigen Langfilmdebüt, erklärte den Versuch aber im Herbst 2022 für gescheitert. Stattdessen kommen nun diese beiden meisterhaften Miniaturen, weit mehr als kompakte Fingerübungen, als Double-Feature in die deutschen Kinos. Just im Moment, wo Almodóvar offensichtlich wirklich ernst macht mit dem ersten englischsprachigen Langfilm.
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