Kritik zu Alice Schwarzer

© Frenetic Films

Sabine Derflingers dokumentarisches Porträt ist in erster Linie eine Hommage an die lange als »Emanze« beschimpfte Feministin, funktioniert aber auch als spannende Zeitreise in die Geschichte der Frauenbewegung

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Eines abends landet Bettina Flitner mit ihrer Frau Alice Schwarzer versehentlich in einer Kölner Kneipe, in der ausländische Prostituierte ihre Freier anwerben. Zehn Minuten später, so erzählt es Flitner, hat Alice Schwarzer das Eis gebrochen. Die Prostituierten – ahnungslos, wen sie vor sich haben – erliegen ihrer Offenheit und plaudern zwanglos mit ihr. Die Anekdote fasst die Wirkung von Sabine Derflingers Dokumentarfilm insgesamt zusammen. Wer hier das erste Mal auf Alice Schwarzer trifft, kann sich ihrem Charme kaum entziehen.

Der Film zeichnet ihr Leben mittels Archiv- und aktuellen Aufnahmen sowie Interviews mit Schwarzer selbst und langjährigen Weggefährt*innen nach. Als Journalistin zeigt sie sich von Anfang an hart in der Sache. Souverän und humorvoll begegnet sie Patriarchen wie Rudolf Augstein, verklagt Henri Nannen wegen sexistischer Titelbilder beim »Stern« oder manövriert breitbeinig Klaus Löwitsch aus, in dem sie seine machohafte Körpersprache spiegelt. Dafür wird sie in den zeitgenössischen Medien zu der »Emanze« stilisiert, die alte weiße Männer hassen und fürchten müssen. Abseits davon zeigt sie der Film bei Redaktionssitzungen im konstruktiven Austausch mit ihren Mitarbeiterinnen oder beim Essen mit Freund*innen im Garten. Sie wirkt damals und heute wie eine warmherzige, polyglotte und eloquente Intellektuelle, die Spaß versteht und mit der wir gern ein Kölsch kippen würden. Die erste Hälfte des Films erinnert daran, wie viel sie für die Frauenbewegung getan hat und zollt ihrem Mut und ihrer Hartnäckigkeit verdienten Respekt. 

Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Wie umstritten Alice Schwarzer und ihre Positionen heute sind, wird im Film nur einseitig und oberflächlich abgehandelt. In ihren Haltungen zur »Kopftuch-Debatte«, Prostitution oder Pornografie und spätestens mit ihren an rassistische Positionen anschlussfähigen Publikationen zur Kölner Silvesternacht 2015 steht Alice Schwarzer eben nicht mehr nur den Ewiggestrigen und Chauvis, sondern zum Beispiel auch der dritten Welle der Frauenbewegung ziemlich unerbittlich gegenüber. Sabine Derflinger deutet diese Polarisierung an, bleibt aber unbeirrbar auf der Seite der Heldin ihres Films. Da Biografien immer nur selektive Auswahl sein können, ist das legitim, verhindert in der hier getroffenen Gewichtung aber auch die kritische Auseinandersetzung. Wie lapidar Alice Schwarzer selbst die Kritik an ihren Aussagen wegwischt und als lächerlich abtut, erinnert dabei frappierend an die selbstgerechten Männer, die sie einst verurteilte. 

Der Regisseurin gelingt so in den besten Momenten eine Hommage im Stil ihres Dokumentarfilms über die österreichische Politikerin Johanna Dohnal von 2019. Besonders in der zweiten Hälfte gerät das Porträt aber zur Hagiografie. Dabei hätte eine kritische Denkerin wie Alice Schwarzer durchaus mehr als Lobhudelei verdient. Ein Angebot an junge Menschen, für die gemeinsame, feministische Sache wieder miteinander ins Gespräch zu kommen, ist der Film so eher nicht.

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