Kritik zu Alexander McQueen
Ian Bonhôte und Peter Ettedgui erzählen mit reichlich Archivmaterial und tollen Aufnahmen aus den Modeschauen vom künstlerischen Werden des Modeschöpfers Alexander McQueen
Die Shows des britischen Modedesigners Alexander McQueen waren immer höchst dramatische Inszenierungen, die schockieren und verzaubern wollten. Die von ihm entworfenen Kleidungsstücke waren dabei Teil eines radikalen Gesamtkunstwerks. Mord und Wahnsinn, Vergewaltigung und Krieg waren Inspirationsquellen dieser Shows, die ihre Besucher förmlich dazu gezwungen haben, über das Verhältnis von Schönheit und Grausamkeit, Mode und Kunst, Sexualität und Macht nachzudenken.
Am Ende von »Voss«, der Präsentation seiner Frühlings-/Sommer-Kollektion 2001, öffneten sich die Wände eines mitten auf der Bühne stehenden Kubus wie Blütenblätter und fielen zu Boden. Krachend gaben sie den Blick auf eine Rekonstruktion von Joel-Peter Witkins 1983 entstandener Fotografie »Sanitarium« frei. Die übergewichtige Schriftstellerin Michelle Olley lag nackt und von Motten umschwärmt auf einer Chaiselounge. Ihr Gesicht verbarg eine Maske, an der ein Beatmungsschlauch befestigt war. Witkins düster-surreale Bildsprache bekam in McQueens Show noch einmal eine andere Dimension. Plötzlich sah sich die Modeszene mit der grotesken Inszenierung eines Körpers konfrontiert, für den in ihrer idealisierten Scheinwelt kein Platz ist.
»Voss« ist eine der sechs Shows, um die herum Ian Bonhôte und Peter Ettedgui ihre Dokumentation »Alexander McQueen« strukturiert haben. In sechs Kapiteln erzählen sie die Geschichte des Designers, der als Sohn eines Taxifahrers im Londoner East End aufgewachsen ist. Die Shows, von denen es noch reichlich Originalaufnahmen gibt, verleihen der ansonsten ganz klassisch erzählten Künstlerbiografie eine überwältigende Wucht. In den Bildern der Models, die McQueens Kreationen oft wie Rüstungen tragen oder wie Wunden zur Schau stellen, offenbart sich die Gedankenwelt des Designers noch klarer als in dem restlichen Archivmaterial, das ihn bei der Arbeit oder in Fernsehshows zeigt. So kommen sie in der »Highland Rape«-Show aus dem Jahr 1995 als Überlebende auf den Laufsteg, deren von Rissen gezeichnete Kleidungsstücke von den brutalen Vergehen der englischen Staatsmacht gegen die schottische Zivilbevölkerung im 17. und 18. Jahrhundert inspiriert sind.
Bonhôte und Ettedgui greifen die Kontroversen, die McQueen mit dieser und anderen Shows ausgelöst hat auf, und geben auch seinen Kritikern, die dem Designer Misogynie vorwerfen, Raum. Aber das Filmmaterial zeigt etwas ganz anderes. Natürlich zeugen McQueens Kreationen von den dunklen Obsessionen ihres Schöpfers, der sich am 10. Februar 2010 das Leben genommen hat. Aber sie zelebrieren keineswegs die Gewalt, sie feiern vielmehr die Stärke und den Mut derer, die nicht an der Gewalt zerbrochen sind.
McQueen war eben nicht nur ein visionärer Designer, der die Modewelt aus ihren Träumen von Schönheit und Perfektion gerissen hat. Er war ein durch und durch visueller Künstler. Genau diese Seite seines Schaffens fangen Bonhôte und Ettedgui im Wechselspiel von Archivmaterial und neuen Interviews mit McQueens Freunden und Weggefährten auf kongeniale Weise ein.
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