Kritik zu 66 Kinos
Von damals und heute, Nachmittagsvorstellungen für drei Mark und den Unwägbarkeiten der Digitalisierung: Philipp Hartmanns »Reise durch die deutsche Kinolandschaft« ist ein Muss für alle Kinoliebhaber
In 66 deutschen Programm- und kommunalen Kinos hat der Filmemacher Philipp Hartmann (Jahrgang 1972) zwischen Herbst 2014 und Sommer 2015 seinen Essayfilm »Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe« auf einer Kinotour persönlich vorgestellt. Dabei hat er sich mit den Kinomachern unterhalten, herausgekommen ist der Dokumentarfilm »66 Kinos. Eine Reise durch die deutsche Kinolandschaft«. 66 Kinos in 98 Minuten, das klingt nach einem Schweinsgalopp, was glücklicherweise nicht der Fall ist. Von manchen der Kinos sieht man nur die Außenfassade, bei anderen kommen Kinobetreiber und Programmmacher ausführlicher zu Wort, in insgesamt 30 Kinos erzählen sie vom Zustand einer Branche in Zeiten des Wandels.
Da ist die Rede davon, dass die Digitalisierung keinen selbstverständlichen Zugriff auf die Filme ermöglicht, sondern die Kinos immer noch von der Willkür der Verleiher abhängig sind, oder dass die Anzahl der Festangestellten kontinuierlich sinkt. Da gibt es das eher singuläre Werkstattkino in München, bestehend aus einem »autonomen Kollektiv von Einzelkämpfern«, wie es einer von ihnen charakterisiert, aber auch jene, die zwischen Multiplexprogrammen und Arthouse einen Mittelweg suchen (müssen).
Bilanz zu ziehen erlaubt sich Hartmann nur an zwei Stellen, einmal geht es um die Anbindung der Kinos an die Gastronomie, über die knapp die Hälfte der Kinos verfügt und die oft genug die finanzielle Situation stabilisiert. So bleibt es Lars Henrik Gass, dem Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen, überlassen, einmal mehr einen – eher pessimistischen – Ausblick zu liefern. Er glaubt nicht, dass die Digitalisierung den Tod des Kinos aufhalten werde, sieht das Kino der Zukunft zwischen einem »Kino der repräsentativen Zwecke« für Großproduktionen einerseits und eher »multifunktional« agierenden kleinen Kinos andererseits. Dazu passen dann einige der nachfolgenden Kinomacherstatements, die auf die gleichzeitige Verfügbarkeit unterschiedlicher Projektionsformen und variable Kinosäle verweisen. Diese eher nüchternen Ausführungen werden konterkariert durch Aussagen anderer Kinomacher, die ihren Enthusiasmus in den Vordergrund stellen. »Wenn ich den Film nicht zeigen würde, dann wäre er verloren für die Welt«, verkündet der eine programmatisch – »das ist kein schlechter Auftrag.« Ein anderer erinnert sich an seine Sozialisation in genau dem Kino, das er heute leitet, an die Nachmittagsvorführungen für drei Mark Eintritt, von denen er oft mehrere hintereinander besuchte.
So ist der Film auch eine Reise in die Vergangenheit der Kinosozialisation, in der sich Zuschauer mit ihren eigenen Geschichten wiederfinden werden. Gerade die Liebe zum Zelluloid, zur Greifbarkeit des Vorführmaterials, zieht sich wie ein roter Faden durch mehrere Äußerungen. Da findet der Film sogar noch Zeit für einen Exkurs über die Startbänder der Filmrollen mit ihren Bildern von Frauenköpfen, die einer der Kinomacher zu einem Kurzfilm zusammengeschnitten hat. »66 Kinos« ist Pflichtprogramm für alle, die noch gerne ins Kino gehen.
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