Berlin gehört uns nicht
Es lässt sich nicht genau sagen, welchem Genre »Possession« von Andrzej Zulawski angehört, der nun als Wiederaufführung anläuft. Im Kern verhandelt er eine Ehekrise, schwenkt bald massiv zum Horrorfilm hinüber, mündet in ein Gangsterfilmfinale (das aber eher dem Liebestod aus »Duell in der Sonne« ähnelt), um schließlich mit apokalyptischem Raunen einen Neuanfang anzustimmen. Ein Doppelgängerfilm ist er nebenbei auch und hört währenddessen nie auf, ein bizarrer Mauerstadtfilm zu sein.
Nicht einmal das mit der Wiederaufführung lässt sich mit Bestimmtheit sagen, denn im Kino wurde die deutsch-französische Co-Produktion hier zu Lande bislang offenbar nie richtig gestartet. Das nimmt wunder angesichts der hochkarätigen Besetzung (Isabelle Adjani, Sam Neill, Heinz Bennent, Margit Carstensen) und des blutrünstigen Gebarens eines potenten, ziemlich eifersüchtigen Tentakelwesens aus der Spezialeffekte-Schmiede von Carlo Rambaldi (»King Kong«, »Alien« und kurz darauf »E.T«). Auch der Darstellerinnenpreis in Cannes und der César für Adjani fielen erstaunlicherweise nicht ins Gewicht. Der Regisseur war für das deutsche Publikum seit Nachtblende mitnichten ein Unbekannter.
Einen glänzend schwefelhaften Ruf erwarb sich das Körperhorror-Melo derweil gleichwohl, fiel in England in die Kategorie video nasty (schade, dass dieses hübsche Prädikat aus der Mode gekommen ist) und wurde in den USA laut Wikipedia um eine Dreiviertelstunde gekürzt (was da wohl von ihm übrig blieb?). Luca Guadgnino hatte »Possession« bestimmt vor Augen, als er sein Remake von »Suspiria« drehte. Bildstörung brachte Zulawskis Film in integraler Fassung erstmals 2009 auf DVD/Blu-ray heraus. Nun legt das Label Camera zusätzlich auch eine alternative Synchronfassung von Gerd Naumann vor, in denen einige Stimmen zu hören sind, die man mit den 1980er Jahren identifizieren kann (Hans-Georg Paczak, Kornelia Boje). Eigentlich liegen mir solche Zerfleischungsorgien nicht, aber man kann sie nicht immer nur den Spezialisten überlassen.
Zulawskis Darstellerinnen und Darsteller, selbst die Komparsen, agieren, als kämen sie frisch aus der FEKS, der Fabrik des exzentrischen Schauspielers, die im sowjetischen Stummfilm Furore machte. Er setzt sie als Kraftfelder ein, die ohne Unterlass miteinander kollidieren. Eine namenlos wütende Verzweiflung treibt sie an. Adjani vollführt einen Veitstanz mit wechselnden Partner, meist jedoch allein. Darüber hinaus kommt es zu zahlreichen Handgemengen, wer sich hier nur eine blutende Nase einfängt, kann von Glück sagen. Die Schlägereien zwischen den erotischen Rivalen Bennent und Neill sind epochal (Neills lange Arme verschaffen ihm doch keinen Vorteil), ebenso wie der Streit zwischen Adjani und Neill, in dessen Verlauf das Mobiliar des Café Einstein zu Bruch geht. Die Scharmützel zunächst anfangs meist auf einer komischen Note, im Einstein müssen die Köche den Kellnern zu Hilfe eilen, um die Raserei des eifersüchtigen Ehemannes beizukommen. (Damals hätte man sich scheckig gelacht ob der Nonchalance, mit der er diese westberliner Institution aufmischt, deren Kellner notorisch überheblich auftraten.) Fortan geht es jedoch immer rabiater zu, inklusive Selbstverstümmelungen und Massakern, die das Tentakelwesen einigermaßen schonungsvoll im Off begeht. In Adjanis Kühlschrank lagern Leichenteile, die Rambaldi bestimmt eine Menge Arbeit machten. Bei der Produktion floss wahrscheinlich mehr Kunstblut, als in allen bundesdeutschen Filmen des Jahres zusammen.
Als ich den Film am Wochenende sah, betrachtete ich ihn mit fehlgeleiteter Nostalgie. Er zeigt ein Berlin, in das ich einige Jahre später selbst zog. Natürlich zeigt er es nicht wirklich. Das Kreuzberg, das er präsentiert, ist auf Endzeit gestimmt. Die Straßen sind menschenleer, wenn dort ein Auto parkt, ist es entweder ein Wrack oder es fehlen zumindest die Reifen. Die Frage, weshalb er hier spielt, ist schnell beantwortet. Allerorten ist die Mauer zu sehen, in der Teilung der Stadt spiegelt sich die Zerrissenheit der Figuren. Sie tragen Namen, die sie halbwegs als Deutsche ausweisen – Anna, Mark, Helen; Bennents' Heinrich fällt da bezeichnend heraus -, sind aber Fremde. Neill scheint eine Art Geheimagent zu sein, der aber nicht mit deutsch-deutschen Konflikten befasst ist. Der Ort bleibt allegorisch, obwohl er konkret erscheint. Immerhin findet hier eine der haarsträubendsten Beschattungen der Filmgeschichte statt.
Den Großteil der Drehorte könnte man noch heute leicht identifizieren. Geben Sie nur mal den Begriff »Filming Locations Possession 1981« in Ihre Suchmaschine ein, da finden Schauplatztouristen reichlich Anhaltspunkte. Ich bekam selbst nicht übel Lust, einige Drehorte aufzusuchen. Der Wohnblock, in dem das unglückliche Ehepaar lebt, liegt nicht weit entfernt von der damaligen Redaktion der "taz" in der Voltastraße. (Seinerzeit lieferte man seine Manuskripte noch persönlich ab, wenn man kein Fax besaß oder der Post misstraute.) Eine besondere Resonanz zum Schauplatz Berlin stellt der Film in den Innenszenen her, wo ein markanter Gegensatz zwischen Alt- und Neubauten herrscht. Bruno Nuytten und sein Kameraschwenker drehten zahlreiche extreme Aufsichten, die sich bei der Deckenhöhe der Kreuzberger Altbauwohnungen zweifellos leichter bewältigen ließen als im niedrigen, engen Apartment des Ehepaars. Die Rauminszenierung dieses Films ist ohnehin faszinierend.
Während des Sehens hatte ich bald einen Gegenfilm vor Augen: »Berlin Chamissoplatz« von Rudolf Thome. Höchst unwahrscheinlich, dass die Regisseure sich auf den jeweils anderen Film bezogen, aber ihre Dreharbeiten im Sommer 1980 überschnitten sich. Thomes Film spielt in dem anderen Kreuzberg, in dem ich später wohnte. Wir unterschieden seinerzeit streng zwischen Kreuzberg 61 und Kreuzberg 36. Mein Stadtteil galt als gediegener, die Mauer lag ein Stück weit entfernt. Der benachbarte, grenznahe Teil galt als authentischer, da tobte das Leben (oder bei Zulawski: das Sterben). Thome versenkt seinen Blick tief in die Nachbarschaft und das gesellschaftliche Klima, das in 61 zwischen Sanierung und Protest herrschte. Es ist ein städtisches Terrain des Flanierens, ein dennoch geschützter Ort des Aufbruchs, der Selbstversicherung und romantischen Entscheidungen. Als atmosphärisches Zeitbild steht »Berlin Chamissoplatz« auf dem entschieden anderen Ende des Spektrums.
Zulawskis Schauplatzsucher haben augenfällige, enorm ausdrucksstarke Drehorte gefunden, deren Zusammenhang keiner urbanen Folgerichtigkeit gehorcht. Die Schnitte katapultieren Figuren und Publikum oft stracks in einen anderen Stadtteil; der Film entfernt sich immer wieder exzentrisch vom Verlauf der Mauer, bis hin zum Grunewald. Diese topographische Freizügigkeit ist kein Manko des Films, sondern ein schaulustiger Vorzug. Er markiert einen bestechenden Unterschied zu Thomes Berlin. Das ist ein Ort von existenzieller Logik, bei Zulawski ist es eine existenzialistische.
Kommentare
Posession-Berlin
Freuen Sie sich auf den Film! Für mich war er damals ein tolles Erlebnis. Ich bin 1983 nach Berlin gekommen und habe ihn dann irgendwann sehen können. Sam Neill, Isabell Adjani, Heinz Bennent und Lovecraft in diesem farbentsättigten Berlin, das ist fantastisch.
Viel Spaß, Jens Jeddeloh
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