Kritik zu Die Mittagsfrau
Barbara Albert verfilmt den Bestseller-Roman von Julia Franck als eine sehr subjektive Chronik deutscher Geschichte von der Weimarer Republik über Nazi-Deutschland bis zur Nachkriegszeit
Eine nicht mehr ganz junge, ernste Frau fährt mit dem Auto an einen entlegenen Bauernhof, es ist ein schwerer Weg, den sie hier nimmt, und zugleich eine Reise in die Vergangenheit, mit Rückblenden an Kinder- und Jugendtage. Als sie angekommen ist und am Tisch in der Bauernstube Platz nimmt, beginnt sie zu sprechen: »Wo ich herkomme, erzählt man sich die Geschichte der Mittagsfrau. Man muss ihr etwas erzählen, wenn man nicht verrückt werden will«. Was man ihr denn erzählen müsse, fragt der wortkarge Bauer: »Was von sich erzählen, wer man ist, wo man herkommt.« Etwas von sich preisgeben, um sich kennen zu lernen. Aber auch, sich selber klar werden, in durchaus therapeutischem Sinne.
Während Helene in der Gegenwart zum Bauernhof fährt, erschließt sich aus Rückblenden ihre Vorgeschichte, und zugleich ein großer Brocken deutscher Geschichte: Da ist die schwere Bürde einer Mutter, die über den Verlust ihrer im ersten Weltkrieg gefallenen Söhne irre geworden ist. Aber auch die Verbundenheit und Liebe zu Helenes älterer Schwester und ihrer Freundin Leontine. Dann der Aufbruch von Bautzen ins aufregende Berlin der Weimarer Republik, mit einem Job in der Apotheke auf dem Weg zum Medizinstudium und einer innig sinnlichen Liebesgeschichte mit dem Literaturstudenten Karl (Thomas Prenn). Nach der Tragödie seines Todes verdunkelt sich Helenes Leben – mit dem aufziehenden Nationalsozialismus, bei der Arbeit im Krankenhaus, wo sie es mit den ersten Kriegsversehrten zu tun bekommt, darunter auch Wilhelm (Max von der Groeben). Er umwirbt sie, lässt sich zunächst von ihrer jüdischen Herkunft nicht abschrecken, besorgt ihr arische Papiere, ist dann aber verstört über ihre animalische Sinnlichkeit und die selbstbewusste Eigenwilligkeit, die zum nationalsozialistischen Frauenbild nicht passt.
Barbara Albert hat den gleichnamigen, 2007 veröffentlichten Bestseller-Roman von Julia Franck verfilmt. Sie hat die Perspektive leicht verschoben, den Blick sehr heutig auf den feministischen Weg einer jungen Frau in einer martialisch männerdominierten Ideologie fokussiert, und damit weg von dem Jungen, mit dem das Buch im Prolog einsteigt. Es ist schön, dabei zuzuschauen, wie die Schauspielerin Mala Emde diese beharrlich leise Selbstermächtigung in feinen Nuancen intoniert. Wie sie im Blick, in der Haltung immer noch einen Rest von Eigenständigkeit bewahrt, wenn sie eigentlich schon völlig gebrochen ist, von den tumben sexuellen Angriffen ihres Mannes, vom Verbot, zu arbeiten, von der erzwungenen Schwangerschaft, dem ungeliebten und unablässig schreienden Baby. Wie sie sich in der aussichtslosen Konfrontation mit dem Mann, der ihr Leben zugleich gerettet und ruiniert hat, immer wieder behauptet, sich millimeterweise Raum zurückerobert. Allein wie unterschiedlich ein einfacher Satz wie »Mir ist nichts Menschliches fremd« klingen kann, wenn ihn mal ein Nazi-Soldat aus der Frontperspektive spricht und mal eine junge Frau, die ihrem Mann unerschrocken fürsorglich die Pickel ausdrückt.
In gewisser Weise ist auch der Film selber ein Akt der Selbstermächtigung, eine relativ aufwendige, einen langen Zeitraum und viele Schauplätze durchstreifende, deutschsprachige Produktion, mit lauter Frauen am Ruder: die Romanautorin Julia Franck, die Drehbuchautorin Meike Hauck, die österreichische Regisseurin Barbara Albert und die Schweizer Produzentin Anne Walser. Das war bei Produktionsbeginn 2014, also vor den neuen Diversitäts- und Gleichberechtigungsbewegungen noch schwerer durchzusetzen als heute.
Ganz bewusst erzählt Albert die historische Geschichte sehr gegenwärtig und unmittelbar – und zieht die Verbindung zwischen weiblicher Selbstbehauptung und politischer Zivilcourage. So weigert sich die Jüdin Helene im Krankenhaus, eine Zwangssterilisierung durchzuführen. Identität und Integrität auch unter schwierigen politischen Bedingungen zu behaupten, das ist heute so aktuell wie vor 90 Jahren.
Kommentare
Die Mittagsfrau
Absolut sehenswert! Berührende Geschichte mit erstklassigen SchauspielerInnen! Eine Erzählung über Unabhängigkeit, eigene Klarheit und Selbstermächtigung in Zeiten des Tolitarismus. Einfach nur toll!
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