Kommunale Kinos: Kampf dem Kommerz

»Komm mit mir in das Cinema. Die Gregors« (2022). © Marian Stefanowski

Mitarbeiter Forum aus »Komm mit mir in das Cinema. Die Gregors« (2022). © Marian Stefanowski

Wie funktioniert kulturelle Filmarbeit? Zum Start des Dokumentarfilms »Komm mit mir in das Cinema« über Erika und Ulrich Gregor, die Pioniere vom Berliner »Arsenal«, umreißt Silvia Hallensleben die Geschichte der Kommunalen Kinos und spricht mit der Szene-Kennerin Cornelia Klauß

Lange Zeit fokussierte sich der Gründungsmythos der Kommunalen Kinos in Deutschland auf das Jahr 1970 und das »Kommunale Kino Frankfurt«. Doch das ist nur mit formalistischer Fixierung auf das große »K« richtig, das ja städtisch finanziert bedeutet. In Wirklichkeit geht die Geschichte städtisch betriebener Kinos zurück bis in die Frühzeit des Films, als Vertreter des Bildungsbürgertums in Sorge über den Siegeszug der neuen kommerziellen Lustbarkeiten in deutschen Städten gerieten. Diese bedrohte die Vorstellung von Sitte und Zucht. Zudem war das frühe Kino von französischen Produktionsfirmen dominiert. Zum Zweck moralischer Rettung des (kindlichen bis erwachsenen) Publikums ersann und realisierte die frühe Gemeindekinobewegung verschiedene Möglichkeiten steuernder Einfluss­nahme, von der Zensur bis zur Einrichtung »kinematographischer Musterlichtspielbühnen« in unterschiedlichster Konstellation. Dabei wurde neben nationaler und sittlicher Erbauung auch die Trennung filmischer Kultur vom Verwertungsstreben propagiert. 

Erstes deutsches »Gemeindelichtspielhaus« in kommunaler Trägerschaft war eine am 1. Dezember 1912 in einem eigens von der Stadt Eickel gekauften Saal am Markt eingerichtete Spielstätte. Vorführer war ein städtischer Elektriker, an der Kasse saß eine Schreibkraft aus dem Gemeindebüro. Zur Eröffnung gab es den von Oskar Messter produzierten Henny-Porten-Film »Mütter, verzaget nicht« (Regie: Adolf Gärtner), der ein fiktives Familiendrama als Anlass zur Präsentation von Einrichtungen der Berliner Familienfürsorge nimmt und als erster langer deutscher Dokumentarfilm gilt. Eickel blieb nicht allein, weitere Kinoinitiativen und Kinos entstanden im Ruhrrevier und in Städten von Altona bis Wiesbaden, besonders erfolgreich und modellbildend dabei das »Urania« in Stettin. Etwas widersprüchlich sind bisher Angaben über die weitere Entwicklung und den Niedergang dieser Initiativen in den 1910er und 1920er-Jahren, bevor Weltwirtschaftskrise und NS-Regime dem kommunalen Eigenleben ein Ende setzten.

Der rebellische Geist der Siebziger

In der Nachkriegszeit begannen nicht gewerbliche Filmvorführungen zuerst in den sprießenden studentischen Filmclubs, aus denen etwa in Frankfurt die 1953 als »Film-Studio« gegründete, noch heute existierende »Pupille« entstand, andere eröffneten in Karlsruhe oder Freiburg. Eine institutionelle Sonderrolle als Vorform der Kinemathek hatte das schon 1963 als Abteilung des Münchner Stadtmuseums eingerichtete Filmmuseum, das auch einen Spielbetrieb hatte. Heute konkurriert es mit den Anfang der 1970er gegründeten Spielstätten in Frankfurt, dem Mannheimer »Cinema Quadrat« und dem an die dortige Volkshochschule angeschlossenen »Filmforum« in Duisburg um den Erstgeborenenstatus. Auch das heute staatlich geförderte (und in »Komm mit mir in das Cinema« ausführlich gewürdigte) Berliner »Arsenal« und die Berlinale-Sektion »Forum« entstand damals aus dem Aufbruchsgeist der Zeit. 

Interessant ist dabei das Verhältnis zur frühen Gemeindekinobewegung. Denn auch die KoKis der 1970er und späterer Jahrzehnte positionierten sich dezidiert im Kontrast zum Kommerzkino. Doch im Unterschied zu den Kinoreformern von damals unterfüttern sie ihre Unternehmungen nicht politisch, sondern ästhetisch – und eindeutig antinational. Statt das Fremde auszusperren, ging die Sehnsucht der in der NS-Zeit Geborenen und den 1950ern Heranwachsenden in die Gegenrichtung: Weg von der in der BRD schon wieder chauvinistisch verengten Perspektive mit Heimatfilmen und Kontinuität zum NS-Erbe, hinaus zu den lange entbehrten, neu zu entdeckenden Filmkulturen Frankreichs, Italiens oder der USA.

»Andere Filme anders zeigen« – wie geht das ?

Das »Kommunale Kino Frankfurt« war auch das erste nach dem Krieg direkt von der Stadt gegründete. Einen besonderen Platz nimmt es in der Geschichte der KoKis aber aus einem anderen Grund ein. Denn hier wurde exemplarisch und dauerhaft ein Konflikt zwischen kulturellen und kommerziellen Interessen gewonnen, der für die deutsche Kulturlandschaft bis heute von existenzieller Bedeutung ist. Der damals vom neuen SPD-Bürgermeister Walter Möller frisch installierte Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann (der als Leiter der Volkshochschule Oberhausen die dortigen Kurzfilmtage installiert hatte ) wurde wegen der Installation des Kinos sehr bald mit einer Klage kommerzieller Frankfurter Kinos wegen »Wettbewerbsverzerrung« und »unlauterer Konkurrenz« durch die öffentlich subventionierte Spielstätte konfrontiert. 

Im Januar 1972 kam das eindeutige Urteil des Verwaltungsgerichts, hier wiedergegeben mit einem Zitat aus der Webseite des Bundesverbands kommunale Filmarbeit e. V.: »Neben den traditionell anerkannten öffentlichen kulturellen Einrichtungen wie Theater, Konzert, Museum, Bibliothek und anderen sei auch das Kino ein Träger von Kulturgut und deshalb zur öffentlichen Förderung berechtigt. Die Leistung eines Kommunalen Kinos sei grundsätzlich anders als die eines gewerblichen und stelle so keine Konkurrenz dar.«

Kurioses Detail: Hoffmann selbst berichtet in einem sehr lesenswerten Interview mit Cornelia Klauß für die vom Verband herausgegebene Zeitschrift »Kinema Kommunal«, dass ihn überhaupt erst diese rechtliche Auseinandersetzung durch den juristischen Erklärungsdruck dazu gezwungen hatte, das Projekt der neuen Kulturstätte auch begrifflich mit Inhalt zu füllen und konzeptuell auszuformulieren. In der Politik hatte – heute unvorstellbar – niemand danach gefragt. Die wichtigsten Punkte des Programms sind die Kontextualisierung der gezeigten Filme und die Gleichsetzung der Kinos mit den Museen als Institution in ihrer kulturellen Wertigkeit.

Heute ist das »Kommunale Kino Frankfurt« eines unter vielen in der immer noch wachsenden Gemeinde nicht gewerblicher Spielstätten und wirklich ins Filmmuseum gewandert. Der schon 1975 gegründete Bundesverband kommunale Filmarbeit vertritt unter dem Motto »Andere Filme anders zeigen« 160 Kinos und Institutionen und ist auch durch das enorme Spektrum der von ihm repräsentierten Spielstätten vom ehrenamtlich betriebenen Dorfkino bis zum großen Haus ein bedeutender Player in der deutschen Filmpolitik. Auf seiner Webseite hat er unter der Rubrik »Kriterien kommunaler Filmarbeit« (diesmal ganz ohne juristischen Druck) ein prägnantes, umfassendes und anregendes 9-Punkte-Programm aufgestellt, das von Avantgarde und Austausch über Gedächtnis, Kompetenz und technische Standards bis zur Förderung audiovisueller Alphabetisierung reicht.

... zum Interview mit Cornelia Klauß

Meinung zum Thema

Kommentare

Liebe Redaktion,

sehr schön, daß Ihr das Thema Kommunale Kinos im Heft aufgreift!
Allerdings bin ich beim Lesen gleich beim zweiten Satz ins Stolpern geraten. Nach meinem Sprachverständnis und unserem Sprachgebrauch sind kommunale Kinos mit klein geschriebenem "k" städtisch, genauer gesagt kommunale Kommunale Kinos, während alle, wegen der unterschiedlichen Formen, was die Trägerschaft angeht (Verein, Museum, nicht städtische VHS etc.) als Kinotyp (Arthouse, Multiplex) gemeinsam Kommunale Kinos sind;-)

LG
Reinhard W. Wolf (CinéMayence, Mainz)

ps. es schön angesichts der zum Teil traurigen Veränderungen in der Kinolandschaft für welche die Pandemie nur ein Katalysator war, über Zukunftsperspektiven für gewerbliche Filmtheater einerseits und nichtgewerblicher Kommunaler Kinos andererseits zu arbeiten und zu schreiben.

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