Kritik zu Vice – Der zweite Mann
Mit allen Wassern gewaschen: Nachdem er in »The Big Short «zuletzt eindrucksvoll die Finanzkrise analysierte, zeichnet Adam McKay diesmal die Lebensgeschichte von Ex-US-Vizepräsident Dick Cheney nach. Ein randvoller Polittrip voller stilistischer Überraschungen
Er war kein Star der amerikanischen Politik, keine Lichtgestalt – eher ein »Prince of Darkness«, wie ihn die »Washington Post« einmal nannte. Sich selbst bezeichnete er gar als »das böse Genie in der Ecke, das keiner je sieht«. Im Schatten anderer zog er die Fäden und arbeitete sich so bis an die Schaltstellen der Diplomatie vor: als damals jüngster Stabschef des Weißen Hauses unter Gerald Ford, als Verteidigungsminister unter George Bush, schließlich acht Jahre lang als Vizepräsident unter George W. Bush. Dick Cheney war wie geschaffen für die Rolle des »zweiten Mannes«: der wortkarge Hinterzimmer-Machiavelli stattete den Posten des Vizepräsidenten mit mehr Einfluss und Macht aus als jeder seiner Vorgänger oder Nachfolger. Die Frage aber lautet: Müssen wir uns heute noch mit ihm beschäftigen? Müssen wir, sagt Regisseur Adam McKay, denn Cheney war letztlich die treibende Kraft hinter Amerikas rigiden Antiterrormaßnahmen und dem Einmarsch im Irak – und damit genauso mitverantwortlich für das anhaltende Chaos im Nahen Osten wie für den Weg in die Spaltung der US-Gesellschaft unter Donald Trump.
McKay ist fraglos einer der erstaunlichsten Gestaltwandler des aktuellen Hollywood-Kinos. Aus dem »Saturday Night Live«-Umfeld kommend, drehte er 15 Jahre lang eine Will-Ferrell-Komödie nach der anderen: mal mehr, mal weniger intelligente Blödelkost um durchgeknallte Cops, bescheuerte Rennfahrer und schräge TV-Ansager, die eines ganz bestimmt nicht formulierte: höhere Ansprüche. 2015 dann erfand er sich mit »The Big Short« grundlegend neu: als kühner Chronist der jüngeren US-Historie. Mit leichter Hand arbeitet McKay darin die Ursachen und Auswüchse der Bankenkrise auf, verblüfft mit einem originellen, hochdynamischen Erzählstil und schafft es, komplexe Zusammenhänge nicht nur clever aufzudröseln, sondern auch frisch und unterhaltsam zu präsentieren. Die Genregrenzen verlaufen dabei fließend. Tragisches steht neben Absurdem, Thriller-Elemente stoßen auf Situationskomik, geballte Fakten auf coole Figuren.
Mit »Vice« wechselt McKay nun vom raffinierten Ensemblestück zum epischen Biopic; mit seinem rasanten Tempo, dem investigativen Gestus und der unorthodoxen Mischung aus Drama und Comedy erinnert der Film aber stark an »The Big Short«. McKays Inszenierungsstil ist dabei wunderbar innovativ. Immer wieder findet er Kamerastandpunkte, die das Geschehen buchstäblich aus überraschender Perspektive beleuchten. Die alte Regel, wonach man so spät wie nötig in eine Szene hinein und so früh wie möglich wieder herausgehen sollte, treibt er auf die Spitze, wenn er mitten in Dialoge hineinschneidet und sich oft mit Andeutungen begnügt, wo andere erst richtig in Fahrt kämen. Und er scheut sich auch nicht vor radikalen Brüchen. An drei, vier Stellen kippt die ansonsten geradlinig erzählte Story unvermittelt ins Surreale. So deklamieren etwa Dick (Christian Bale) und Lynne Cheney (Amy Adams) beim Zubettgehen ihre Dialoge im Stil eines Shakespeare-Dramas, und mitten im Film rollt plötzlich der Abspann, und Titel behaupten, Cheney habe sich zum Jahrtausendwechsel ins Privatleben zurückgezogen. Eine bittersüße Vision: ein mögliches Happy End, das Amerika nie zuteil wurde.
Hinter all dem steckt eine unermüdliche Fabulierlust, eine sehr zeitgemäße Vorstellung davon, was Kino heutzutage leisten muss, und eine spezielle Mentalität, die viel mit McKays satirisch-komödiantischer Herkunft zu tun hat, aber auch mit seinem unverhohlenen moralischen Anspruch, den Dingen auf den Grund zu gehen und Missstände schonungslos anzuprangern. Mit Christian Bale steht McKay dabei der ideale Mime zur Verfügung: ein radikales Chamäleon, das nicht nur komplett in seine Figur eintaucht, sondern regelrecht in ihr verschwindet. Dank angefutterten Kilos und einer spektakulären Maske verwandelt sich Bale dem echten Cheney so weit an, wie es überhaupt nur möglich ist. Und wenn der Film überhaupt ein Problem hat, dann jenes, dass dieser Mann im Privaten vermutlich genauso zurückhaltend und unergründlich war wie im Rampenlicht der großen Politik: ein ewiger Zuschauer und Schweiger, ein introvertierter Rückraumspieler, den auch die prallvollen Zweieinviertelstunden dieses Films nie wirklich ergründen können.
McKay beginnt die Geschichte im Jahr 1963, als Cheney auf dem besten Wege war, seine Biografie zu ruinieren, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Gleich in der ersten Szene wird er wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet, aber erst einige Raufereien und Abstürze später kommt er dank eines Ultimatums seiner rigorosen Gattin zur Besinnung. 1968 ergattert er ein Jahresstipendium in Washington, wird eher zufällig Republikaner und bald Assistent des späteren Verteidigungsministers Donald Rumsfeld (von Steve Carrell witzig, aber etwas flach porträtiert). Für den weiteren Aufstieg Cheneys liefert der Film erstaunlich wenige Argumente. Er muss viel Glück gehabt und die richtige Mischung aus Loyalität, Skrupellosigkeit und Machtinstinkt besessen haben. Denn an einem lässt McKay keinen Zweifel: eine Haltung konnte (und wollte) sich einer wie Cheney nicht leisten. Ihm ging es stets nur um den Kick des Gewinnens – und nebenbei um eine dubiose Verquickung von Amt und persönlichem Geschäft.
In mancherlei Hinsicht ähnelt McKays Methode dabei der von Michael Moore. Es geht um Entlarvung, und dafür ist manchmal jedes plakative Mittel recht. Wirklich hübsch, wie der Film sich Cheneys lebenslanges Hobby, das Fliegenfischen, zunutze macht. So werden dank suggestiver Montage Gegner immer wieder zu Fischen, die früher oder später auf Cheneys Köder reinfallen und dann am Haken hängen. Der Prominenteste von ihnen war natürlich Bush Junior (herrlich: Sam Rockwell). Ausgiebig zelebriert der Film den schleichenden Prozess der Überrumpelung, der Cheneys Vizepräsidentschaft in Wirklichkeit war. Und wie in einer Moore-Doku wird uns vorgeführt, wie Cheney seine über alles geliebte Macht umsetzte und auslebte. Ein schönes, schreckliches Vergnügen.
Kommentare
Vice - der zweite Mann
Es ist das 1. Mal in meinem über 70jährigen Leben, daß ich ein Kino vorzeitig verlassen habe. Das soll Satire sein? Genau unter diesem Deckmantel versteckt sich die vollkommen einseitige Sichtweise des Regisseurs, eine Anderreihung altbekannter negativer Sequenzen gegen die Republikaner, in denen selbstredend der "tumbe" George Bush nicht zu kurz kommen darf. Während Carter als einziger demokratischer Präsident in der Reihe tunlichst außen vor bleibt. Dieser Film ist populistisch aufgezogen und vermutlich von den Linken in den USA kräftig gepuscht worden. Überhaupt kein Vergleich zu "Green Book", ganz hervorragend gemacht.
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