Kritiker-Umfrage: Was ist ein schlechter Film?

»Fast & Furious 6« (2013). © 20th Century Fox

»Fast & Furious 6« (2013). © 20th Century Fox

James Francos »Disaster Artist« erzählt die Produktionsgeschichte des »schlechtesten Films der Welt«. Und alle wollen den jetzt ­sehen. Aber was sind eigentlich die Kriterien für die Bewertung von ­Filmen? Gastautoren und epd-Film-Kritiker bekennen Farbe

Georg Seeßlen: Verbündete der Macht

Die Frage nach einem schlechten Film ist eine des Zusammenhangs. Ein schlechter Film ist in erster Linie immer ein Film am falschen Ort und zur falschen Zeit. Das Risiko, einen schlechten Film zu produzieren, ist also besonders groß, wenn er immer und überall funktionieren soll, oder aber wenn er fast nirgendwo funktionieren kann. Der schlechteste Film ist allerdings der, der schon im Kopf nicht funktioniert hat, aber trotzdem gemacht wird, aus diesem oder jenem Grund. Erst wenn ein Film an seinem richtigen Platz und zu seiner richtigen Zeit gesehen wird, kann man an die feineren Fragen gehen, an die, was an einem Film schlecht ist. Handwerklich misslungen oder konzeptuell daneben, moralisch inakzeptabel und ästhetisch prätentiös, geklaut, manipulativ, korrupt, seiner eigenen Mittel nicht bewusst... Die Feinarbeit der Kritik, so solidarisch wie möglich, so streng wie nötig.

Zudem ergibt sich die Notwendigkeit, weiterzufragen: Ist ein schlechter Film einer, der schlecht erzählt, oder einer, der Schlechtes erzählt? Man wird der Kritik, der professionellen wie der alltäglichen, das Recht und die Pflicht zusprechen, sowohl ästhetisch als auch moralisch und ideologisch zu reagieren. Und wenn Kritik, wie Michel Foucault gesagt hat, im Kern stets die Macht meint, dann kann man die Frage nach dem schlechten Film nicht von der Frage nach der Macht über die Bilder trennen. Schlechte Filme entstehen vor allem aus einem Arrangement mit der Macht über die Bilder. Andersherum: Filme, die diese Macht infrage stellen, können keine ganz schlechten Filme sein, ob sie nun Trash, Schmuggelware oder Kunst sind.

Die Frage nach dem Können tritt unweigerlich in Beziehung zur Frage nach der Haltung eines Filmes. Als wirklich schlechten Film bezeichne ich einen, der keine Haltung zu seinem Sujet, zu seinen Mitteln, zu seiner Entstehung, zu seinen Personen entwickelt. Oder eben, da wird es persönlich, eine »schlechte« Haltung.

Richtig schlechte Filme, also solche, in denen Anspruch und Verwirklichung herrlich auseinanderklaffen, sind ohnehin schon längst wieder Kult. Vielleicht nicht am schlechtesten, aber am schlimmsten sind Filme, die irgendwie egal sind. Die funktionieren, ohne zu wissen, wozu. Nennen wir sie die Überfütterungsfilme.

Verena Lueken: Kein Gedanke, kein Gefühl

Schlecht ist alles, was langweilt, hätte Billy Wilder gesagt. Das gilt bis heute, wenn auch die Frage, was wen wann langweilt und wie schnell, sich möglicherweise anders stellt. Womit wir beim subjektiven Teil der Antwort wären. Was mich langweilt also, ist dies (Beispiele aus jüngster Vergangenheit): Kunstbemühen – ­ »Auguste Rodin«. Oktanstarke Industrieware – »The Fast and the Furious«-Serie. Fortsetzungen überhaupt – mannigfach. Standardklamauk – »Vier gegen die Bank«.

»Vier gegen die Bank« (2016). © Warner Bros. Pictures

Ein schlechter Film bringt nichts in Bewegung. Weder in sich selbst noch in mir. Das ist der Maßstab. Spüre ich etwas? Mitgefühl? Angst? Lust? Sehnsucht? Trauer? Freude? Staunen? Muss ich lachen, weinen, die Augen schließen oder die Hände vors Gesicht schlagen? Wenn nichts davon geschieht, wenn sich keinerlei Gefühl rührt, sitze ich vermutlich in einem schlechten Film.

Es sei denn, er bringt zwar nicht mein Herz, aber meinen Verstand zum Glühen. Stellt mir Fragen, an denen ich noch eine Weile herumkauen muss. Die ich kenne und zur Seite gelegt oder mir noch nie gestellt habe. Zeigt mir innere oder äußere Welten, in denen ich mich nicht auskenne und durch die ich mir Wege suchen muss. Fordert meine Aufmerksamkeit heraus, meine Neugierde. Wenn eines davon oder mehreres passiert, kann der Film nicht ganz schlecht sein. Umgekehrt gilt es ebenso. Kein Gedanke – schlechter Film. Kein Gedanke, kein Gefühl – ganz schlechter Film.

Heike-Melba Fendel: Das will und will und will

Ein schlechter Film will immer ein guter und meistens ein sehr guter Film sein. Er will und will und will. Daran erkennt man ihn am besten. Wie die Hauptdarstellerinnen in romantischen Komödien immer etwas wollen, nämlich IHN. Romantische Komödien sind immer schlechte Filme. Spätestens seit Nora Ephron das Genre in den 90ern zerstörte, nachdem sie ihm mit »When Harry Met Sally« eine Panikblüte beschert hatte. Seither macht sich jedwede Schauspielerin formerly known as Charakterdarstellerin zur liebeskranken Genre-Äffin. Ob in der Twentysomething- (Jennifer Lawrence in »Silver Linings«) oder der Silver-Ager-Variante (Meryl Streep in »Wie beim ersten Mal«): Das Grauen kennt keine Altersbeschränkung. Jede romantische Komödie, allen voran die Schenkelklopfer »Fifty Shades of Grey, Teil 1 und 2«, zertrümmert Plot Point für Plot Point, was emanzipatorische Bewegungen provisorisch errichtet haben. Frauen wollen nämlich, siehe oben, nur das eine, IHN, Männer das andere eine. Von ihr. Wenn auch nicht in diesen Filmen, aber von irgendwas muss die Pornoindustrie ja auch leben.

Keine Regel ohne französische Ausnahme. Das französische Kino muss Romantik nicht im Dienste eines possierlichen Humorverständnisses entsexualisieren. Jérôme Bonnells »Le temps de l'aventure« spielt in den Straßen und Hotels von Paris. Die eine schwangere Schauspielerin verkörpernde Emmanuelle Devos stalkt den zu einer Beerdigung angereisten Gabriel Byrne, spricht ihn an und schläft recht zügig – und gar nicht possierlich – mit ihm. »Ich bin schwanger«, gesteht sie ihm abschließend. »Jetzt schon?«, fragt er zärtlich. Seine Antwort ist lustig, seine Absichten bleiben ernst. Wie es sich für eine gute Komödie gehört. Eat this, Hugh Grant.

Ekkehard Knörer: Das bedingte Urteil

Es gibt schlechte Filme sonder Zahl, aber Kriterien dafür, wann ein Film schlecht – oder gut – ist, gibt es nicht, jedenfalls keine, die nicht tautologisch wären, weil man alles, was schlecht gemacht ist, auch hätte gut machen können. Keine Kriterien, genauer gesagt, die nicht von Zeiten, Kontexten, Rezeptionsbiografien, vom Umfeld anderer Filme und Kunstwerke, von Tendenzen der Zeit jeweils abhängig wären. Schönheit ist modern eher ein Problem als die Lösung, spätestens Punk hat gelehrt, dass das Gekonnte nicht notwendig das Dilettantische überragt. Konzepte heben Inhalte aus den Angeln, ohne dass deshalb alles nur Formsache wäre. Kindischer Unsinn treibt oft schönste Blüten. Aber auch Langeweile hat ihre Reize. Schlock, Kitsch, Klischees, das Zuviel und das zu dick Aufgetragene können so toll sein wie intellektuelle Strenge, Askese, das so noch nicht Dagewesene und der Mut zur Elliptik.

Weltanschauungen von Filmen muss man nicht teilen, um diese für gut halten zu können. Ich bin kein Freund von Sadismus, sei es bei Haneke, sei es bei Lanthimos, deren Sachen ich in der Regel nicht ausstehen kann, aber auch die Weltsicht von Verhoevens »Showgirls« ist mir mitnichten sympathisch – und ein Meisterwerk ist es doch. Für jeden Film, den eine hasst, findet sich eine andere, die ihn liebt. Was dem einen egal ist, darauf fährt der andere ab. Was daran liegt, dass Filme Individuen sind wie die, die sie sehen. Noch die unbedingteste Kritikerin kann darum wissen, dass ihr Urteil bedingt ist. Es gehört zum Geschäft der Kritik, dass das ihr Urteil nicht anfechten muss. Übrigens gibt es auch schlechte Kritiken sonder Zahl, aber Kriterien dafür, wann eine Kritik schlecht – oder gut – ist, gibt es nicht, jedenfalls keine, die nicht tautologisch wären, weil man alles, was schlecht gemacht ist, auch hätte gut machen können.

Sabine Horst: Das reaktionäre Kunstwerk

Spätestens den Siebzigern, mit der »Rocky Horror Picture Show«, der Entdeckung von Ed Wood und dem Beginn der postmodernen Karnevalskultur, hat der Begriff »schlecht« in Verbindung mit dem ­Kino etwas Kuscheliges angenommen. So wie in »Die hundert besten schlechten Filme«. Tatsächlich bringt dieses unberechenbare, kommerzielle, von Kollektiven bespielte Massenmedium ja in relativ seltenen Fällen ragende Werke hervor – wer im Misslungenen, im Kitsch oder Trash keine erhellenden Momenten findet, kann am Kino verzweifeln.

Wenn es bei dem Adjektiv »schlecht« aber im ernsthaftesten Sinn um die Maßstäbe der Kritik geht und um die ganz große Frage »Kunst oder Nichtkunst?«: Dann ist ein schlechter Film für mich einer, der nicht wissen will, was er gemessen an den Bedingungen seiner Entstehung wissen kann. Einer, der hinter den Erkenntnisstand seiner Zeit und Gesellschaft zurückfällt – ein ideologischer Film. Und dieses Ideologische lässt sich – »Die Einstellung ist die Einstellung« – nicht als Inhalt von der Form trennen. Auch wenn man das als Kritiker in der Praxis oft tut, weil sich die nichtdiskursiven, die poetischen Strukturen eines Films eben nur annäherungsweise in diskursive Sprache übersetzen lassen.

»The Revenant« (2015). © 20th Century Fox

Ich kann nicht davon absehen, wem die seinerzeit neu anmutende Montage von »Birth of a Nation« diente. Dass die visuelle Architektur von Fritz Langs ­»Metropolis« den Einzelnen hintergeht und entmündigt. Oder wie, um mal ein zeitgenössisches Beispiel zu nennen, die virtuosen Fühlbilder von »The Revenant« das Leiden naturalisieren. Schlecht gedacht, aber gut gemacht? Funktioniert vielleicht noch ­weniger als andersrum. Liebes Kino, bring mir deine Schmuddelkinder. Aber verschone mich mit der Idee vom »reaktionären Kunstwerk«.

Christoph Hochhäusler: Mit Kant im Kino

Ich glaube, jeder Film bringt eigene Spiel­regeln und damit auch eigene Qualitätskriterien hervor. So interessant ich es finde, am konkreten Beispiel zu begründen, warum eine Kamerafahrt »verkommen« oder ein Schnitt »genial« ist, so vergeblich scheint mir eine allgemeine Qualitätsdebatte.

Zwar gibt es Felder, die ich in der Diskussion mit Freunden, Kollegen oder Studenten regelmäßig berühre: Persönliche Perspektive – ich will Filme sehen, die einer individuellen Erfahrung und Sensibilität entwachsen; formale Herausforderung – ich will Filme sehen, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat, nicht geben konnte; Thematische Relevanz – ich will Filme sehen, die mich betreffen...

Aber was wäre damit wirklich gesagt? Nehmen wir einen Film wie Kathryn Bigelows »Zero Dark Thirty« (USA 2012), den ich herzlich hasse. Kann man Bigelow eine persönliche Perspektive absprechen? Schwerlich. Ist ihr Film formal herausfordernd? Unbedingt. Auch die thematische Relevanz ist nicht zu bestreiten.

»Zero Dark Thirty« (2012). © Universal Pictures

Was bringt mich dann so auf gegen den Film? Um das einigermaßen genau zu fassen, müsste man tief einsteigen in Fragen der Kinoethik. Es müsste darum gehen, in welche Nähe sich ein Filmemacher, eine Filmemacherin zur Macht begeben darf. Und wie schwer die »Sünde« einer Verfälschung historischer Tatsachen wiegt – etwa die Rolle der Folter betreffend –, wenn die Geschichte noch nicht in das Reich der Mythen überführt ist. Es wäre abzuwägen zwischen den Realismen der Oberfläche – genau diese Uniform, dieser Hubschrauber – und einer politischen Genauigkeit. Und so könnte man vielleicht einen Begriff davon entwickeln, warum dieser Film womöglich nicht »schlecht«, aber falsch ist.

Was gut ist, was schlecht oder »falsch«? Das ist also immer eine Debatte über die Kant’schen Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Und damit viertens: Was ist der Mensch?

Jede Antwort darauf ist vorläufig und muss wieder und wieder diskutiert werden. Zum Beispiel anhand von Bigelows jüngstem Film »Detroit«, der mich viel mehr überzeugt hat...

Norbert Grob: Jenseits des Schönen

I. Zwei Kritiker kommen erstmals ins Gespräch. Schlechte Filme? Das sind, so der eine, selbstverständlich Filme, die schlecht erzählt, inszeniert und gespielt sind. Wenn nichts begriffen, nichts gekonnt, nichts gewagt ist. Und die Bilder kraftlos und beliebig bleiben. Darauf der andere: Sie meinen, ­Qualität ist eine Frage von Erzählung? Figuren? Point of view? Dramaturgie? Bildkomposition? Montage? Das ist mir zu banal.

II. Kurz danach treffen sie sich wieder. Der eine: Wir könnten es mit Martin Heidegger versuchen. Aufregend und meisterhaft sind Filme, wenn sie als So-Sein des Filmischen (also des Bildlichen in der Zeit, in Verbindung mit dem Farbigen und Klingenden) dichtende Entwürfe der Wahrheit sind. Und so entdeckende Blicke aufs wirkliche Leben werfen. Wenn es nur ums noch Andere geht, das ja das Künstlerische ausmacht, um das bislang Unbedachte, Ungesehene, Unvorstellbare. Um Wege, die meist verwachsen jäh im Unbegangenen aufhören. Und einer dennoch weiter und weiter arbeitet, gesondert von allen anderen, aber im selben Wald. Wenn er in die Irre geht, ohne sich zu verirren. Im Umkehrschluss hieße das: Schlecht sind Filme, wenn sie erarbeitete Wiederholungen des Üblichen bleiben. Und so bloß unterhaltende Spielereien um Scheinwelten bieten. Wenn es nur ums längst Bekannte geht, um Abzug, Imitation, Kopie, Plagiat. Um Wege, die...

Da unterbricht ihn der andere, sehr schroff: Hören Sie doch auf mit diesem Unsinn!

III. Eine weitere Begegnung, nach der Vorführung eines miserablen Films während der 68. Berlinale. Nun ist es doch klar, sagt der eine. Schlechte Filme sind abstrus, langweilig, stupide, überflüssig. Fahle Überbleibsel einer vergangenen Zeit. Alles bleibt vorhersehbar. Und ohne Atmosphäre und Geschmack. Nirgendwo ein Geheimnis oder Rätsel, nirgendwo ein doppelter Boden. Dafür ist Offensichtliches mit Nachdruck betont. Szenen zerfleddern. Perspektiven wechseln ohne Sinn und Verstand. Und kein einziges Bild lässt uns erstaunen.

Der andere hört geduldig zu. Hin und wieder brummt er vor sich hin. Am Ende schaut er auf, lächelt. Aber was ist, wenn schlechte Filme Spaß machen? Danach wendet er sich um und geht davon, langsam.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ich denke, es geht vielen so: Ich kann mich langfristig nur an zwei Gruppen von Filmen erinnern: an die, die mir richtig gut gefallen haben, und an die, die ich richtig "schlecht" fand. Und unvergessen bleiben einfach "Terror 2000 – Intensivstation Deutschland" von Ch. Schlingensief oder "Reise ins Glück" von Wenzel Storch. - Was mich nach dem Lesen der verschieden Antworten beruhigt: Objektive, allgemeingültige Kriterien funktionieren einfach nicht, am Ende bleibt das Urteil über einen Film doch was ganz individuelles, subjektives...

Da man wohl nicht fassen kann was nun ein schlechter Film ist, wäre es vielleicht angebracht den Versuch das zu ergründen sein zu lassen und diese Frage nur noch aus seinem persönlichen Blickwinkel heraus zu beantworten.

Wie Herr Grob es am Ende sagt. Wenn ein Film einem Spaß macht, dann ist es egal, in welche Kategorie er fällt und was da vielleicht alles schief gelaufen ist. Die persönliche Meinung schlägt jede Einordnung und wenn man merkt, da hatte jemand Freude bei dem was da vor einem flimmert, dann ist das alles was zumindest ich verlange.

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