Berlinale: Digital, aber nicht genial
Menschen mit Maske gehören heute, hoffentlich, ganz selbstverständlich zum Straßenbild. Im Film sind sie aber noch nicht angekommen. Das hängt mit dem langen Vorlauf zusammen, den Filme manchmal brauchen, aber natürlich auch mit dem jeweiligen Thema. Der rumänische Regisseur Radu Jude, in letzter Zeit der produktivste Filmemacher seines Landes, hat den ersten Corona-Film der Filmfestivalgeschichte gedreht: »Bad Luck Banging Or Loony Porn«. Darin läuft eine Lehrerin im Sommer des vergangenen Jahres durch die Straßen von Bukarest, und die Kamera fängt aufgestaute Wut, Ungehorsam und ihre Entladungen ein.
Aber dieser dokumentarische Streifzug ist nur ein Bestandteil dieses Films: Die Lehrerin hat ein Pornovideo gedreht, das nun im Netz steht und für das sie sich im letzten Teil in einer elternabendähnlichen grotesken Versammlung voller scheinheiliger, aber auch antisemitischer und homophober Äußerungen rechtfertigen muss. Und im collageartigen Mittelteil des Films reflektiert Radu Jude wie in einem Wörterbuch polemisch über die Geschichte und Gegenwart seines Landes. Unter »Weihnachten« etwa wird ein Erschießungskommando aus dem Jahr 1944 gezeigt.
Für seine Mischung aus Dokumentation, Essay und zugespitzter inszenierter Polemik hat Jude den Goldenen Bären, den Hauptpreis der Berlinale, erhalten. Sicherlich würdigte die Jury damit den Mut zum Disparaten, zur Satire und Reflexion. Einen neuen Ton im Kino schlägt dieser Film aber nicht an.
Und das kann man von vielen Filmen dieses Wettbewerbs sagen, die in diesem Jahr eher low budget und minimalistisch daher kamen. Immer wieder haben die Berlinale-Verantwortlichen Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek vor dieser Berlinale, die nur für Presse- und Branchenvertreter als Streaming-Festival stattfand, die Idee des Kinos beschworen – aber zu seiner Feier wuchs sich diese 71. (Not-) Ausgabe nicht aus.
Einen Film mit, sagen wir mal, epischer Wucht oder dramatischer Dichte, was durchaus auch am heimischen Fernseher wirken kann, vermisste man schmerzlich, stattdessen gab es eine Tendenz zum Strengen und Statuarischen, ausgedrückt etwa im Film des koreanischen Regisseurs und Festival-Lieblings Hong Sangsoo, »Introduction«. Die Geschichte eines jungen Paares, das sich trennt und zufällig wiedersieht, setzt Hong Sangsoo in Schwarzweiß, mit langen Einstellungen und unmotivierten Zooms um. 66 Minuten können sehr lang sein. Hang Sangsoo hat dafür einen Silbernen Bären für das beste Drehbuch bekommen. Diese Tendenz findet sich auch wieder in Ryusuke Hamaguchis »Wheel of Fortune And Fantasy« (Japan), drei Geschichten ums Wiedersehen, der mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde.
Zu den kinematographischen Überraschungen des Wettbewerbs zählte »Natural Light«, das Regiedebüt des Ungarn Dénes Nagy. Er folgt einer Gruppe ungarischer Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg an der Seite der Nazis kämpften, in die weiten Wälder der überfallenen Sowjetunion. Die Soldaten suchen nach Partisanen, ermorden Zivilisten. Beständig befindet sich dieser Film in einer ruhigen Bewegung, es braucht lange, bis sich die Hauptfigur, ein Offizier, aus der Menge der Gesichter herausschält. Diesen Abstieg in die Hölle hat Nagy meisterhaft und eindringlich inszeniert. Man hätte ihm den Goldenen Bären gegönnt, immerhin hat er dafür den Silbernen Bär für die beste Regie erhalten.
Und die vier deutschen Beiträge unter den 15 Wettbewerbsbeiträgen? Nun, zwei davon, Dominik Grafs »Fabian« und Daniel Brühls »Nebenan«, waren nicht zu streamen. Stattdessen haben die Verleiher geheime Pressevorführungen für wenige Journalistinnen und Journalisten organisiert – im Kino. Das hat natürlich Hautgout. Zum Glück ging der Preisregen der Jury komplett an ihnen vorbei – ein handfester Skandal wäre sonst sicher.
Maria Schrader hat mit »Ich bin Dein Mensch« einen charmanten Cyborg-Film vorgelegt, für den Hauptdarstellerin Maren Eggert den Preis für die beste Darstellung bekam. Diese Leistung war ja in diesem Jahr zum ersten Mal genderneutral definiert (also nicht männlich/weiblich wie bisher) – was im Vorfeld auch für Diskussionen sorgte.
In »Herr Bachmann und seine Klasse« (Silberner Bär Preis der Jury) folgt Maria Speth einem charismatischen und ungewöhnlichen Lehrer im hessischen Stadtallendorf, der mit Musik und vielen Gesprächen seine Schülerinnen und Schüler auf das Leben und Lernen einschwört. Speth dokumentiert die Fortschritte und Rückschritte, die Auseinandersetzungen und Konfliktlösungen über viele Monate. Und mit fast vier Stunden Laufzeit. Aber man hätte dem Lehrer und seinen Schülerinnen und Schülern auch noch länger zusehen mögen.
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