Ungekannte Freuden
Im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern macht »Rio Lobo« seinem Titel wenig Ehre. Der Abschluss von Howard Hawks' inoffizieller Trilogie, den arte gerade rauf und runter zeigt, spielt kaum in besagter Stadt und wenn, dann interessiert er sich wenig für sie.
Der glorreich konzentrierte »Rio Bravo« muss den Titel stiftenden Schauplatz keine einzige Sekunde verlassen, um die schönste Westerngeschichte überhaupt zu erzählen. Er wirkt so entspannt, dass man kaum mitbekommt, wie penibel er die aristotelischen Einheiten beherzigt. »El Dorado« ist schon erheblich rissiger. Er entfernt sich nach dem Auftakt für eine ganze Weile von der Stadt, die fortan jedoch eine unwiderstehliche Anziehungskraft gewinnt, was durch das von James Caan rezitierte Poe-Gedicht eine zusätzlich mythische Dimension gewinnt. Die ist etwas hochstaplerisch, zugegeben, aber um Glückssuche, Zielstrebigkeit und die Verteidigung des eigenen Terrains geht es am Ende eben dann doch. »Rio Lobo« hingegen ist topographisch viel ungebundener, fast schludrig konstruiert. Die Bürgerkriegsepisode zu Anfang nimmt jede Menge Zeit in Anspruch. Der Zugüberfall mit den Hornissen ist allerdings auch ziemlich pfiffig ausgedacht und spektakulär realisiert (gut möglich, dass ihn Stephanie Rothman mit der Honigfalle in »Terminal Island« zitiert hat, wobei es ihr ja mehr um zerstochene Männerhintern geht). Die Kameradschaft der vormaligen Kriegsgegner ist eine hübsche Hawks-Variante der Aussöhnung von Süd- und Nordstaatlern, an der mehrere späte John-Wayne-Western jener Epoche interessiert sind: Höflichkeit unter Kollegen. Auf den diversen Etappen nach Rio Lobo zieht man zusehends an gleichen Strang. Vor Ort ist die Gemengelage reichlich verwirrend, ein Gespür für das Gemeinwesen stellt sich nicht ein; dementsprechend geht es zeitweilig auf einer Ranch außerhalb weiter. Das Problem von Hawks' letztem Film ist mithin eine beträchtliche Ortlosigkeit, die dadurch kompensiert werden soll, dass lauter Plot-Elemente aufgeboten werden, die in den Vorgängern abnehmend prächtiger funktionierten.
Diese Sorgen muss sich das Berliner Arsenal nicht unbedingt machen, wenn es von jetzt an voraussichtlich ein Jahr in der Diaspora verbringt. Die Wartezeit auf das neue Domizil im "Silent Green" im Wedding wird es nomadisch verbringen: Eine Haltung wird ambulant. Einen ersten Ausblick finden Sie hier: https://onlocation.arsenal-berlin.de/ „Arsenal on Location“ heißt das Vorhaben, welches nicht von ungefähr die Assoziation zu Drehorten weckt, an denen sich Filme befristet einrichten. Das Kino gastiert mit bewährten Programmen an anderen Spielstätten – den Anfang machen die „Unknown Pleasures“, die alljährliche Leistungsschau amerikanischer Independents, die ab dem 2. Januar im Wolf Kino in Neukölln läuft. Die zweite Etappe ist bezeichnend, denn »Taming the Garden« (Die Zähmung der Bäume) handelt von Entwurzelung im Wortsinne. In Salomé Jashis erstaunlichem Dokumentarfilm wird eine alte Kastanie ausgegraben, abtransportiert und sodann, zu Land und zu Wasser, einer bizarren neuen Bestimmung zugeführt: im dendrologischen Park des Milliardärs Bidsina Iwashniwili, der 40 Kilometer entfernt an der georgischen Küste liegt. Damit betritt das Arsenal Neuland, denn das Projekt findet in einem Ausstellungshaus statt, dem C/O Berlin am Bahnhof Zoo.
Danach wird es weitere Experimente, aber auch klassische Retrospektiven geben, bei denen sich das Markenzeichen Arsenal mit der Aura anderer Spielstätten verbinden muss. Wird es seine alte Strahlkraft behalten? Oder diese sich im Verlauf der Tournee wandeln? Mit jedem neuen Ort gerät es an Erwartungen, die sich mit jeweils mit diesem verknüpfen: an einen bestimmten Programmstil, an ein vertrautes Niveau. Obwohl man Wettbewerber ist, nimmt man einander für einen Moment ins Boot. Differenzen, Unterschiede, vielleicht auch Kollisionen sind vorbestimmt und wohl auch eingeplant. Dabei können ungeahnte Schubkräfte freigesetzt werden. So locker indes, wie Hawks seine Filme strukturiert, wird diese Diaspora sich schwerlich vollziehen. Bestimmt werde ich bei den Gastspielen, die bundesweit und international konzipiert sind, Werner Grassmanns Diktum vom Klima eines Kinoprogramms im Hinterkopf behalten. So oder so werden Inhalte und Orte zueinander passen müssen. Und danach wird sich zeigen, ob im Wedding wirklich ein cinéphiles El Dorado liegt.
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