Die zweite Wahl

Manchmal findet das größere Drama nach den Dreharbeiten statt. Dann gilt es, Enttäuschungen und Kränkungen zu erdulden, dann werden langjährige Partnerschaft aufgekündigt oder mitunter zerbrechen gar Freundschaften. Wenn während der Nachproduktion plötzlich eine Filmmusik abgelehnt und kurzerhand ersetzt wird, möchte man in der Haut von keinem der Beteiligten stecken.

Diesem - zumal in Hollywood - leider gar nicht so seltenen kreativen Bruch widmet das Filmkollektiv Frankfurt ab heute eine Filmschau, die im Kino des DFF bis März veranstaltet wird: https://filmkollektiv-frankfurt.de/alternative-abgelehnte-filmmusik-hollywood/ „The Replacement Business“ ist ein absolut bemerkenswertes Vorhaben, ein früher Kandidat für den Originalitätspreis des Jahres. Von dem findigen Kollektiv ist man gewohnt, dass es die Filmgeschichte gegen den Strich liest, nun hört es sie auch gegen den Strich.

Zwei der drei berühmtesten Dramen fehlen in der Auswahl, was eventuell der Kopienlage geschuldet ist, aber angesichts ihrer Prominenz sowieso nicht schlimm ist. Es handelt sich zunächst einmal um „Torn Curtain“, bei dem es zum epochalen Zerwürfnis zwischen Alfred Hitchcock und seinem unverzichtbaren Hauskomponisten Bernard Herrmann kam. In einer Ausstellung, die mein Freund Binh 2013 für die „Cité de la musique“ gestaltete, konnte ich Passagen der Originalpartitur zu den entsprechenden Ausschnitten erleben und muss sagen, dass die Umbesetzung einen enormem Verlust darstellt. (Ich glaube, es gibt inzwischen Heimmedien, auf denen das Original zu hören ist.) Allerdings sind die nachrückenden Komponisten – in diesem Fall John Addison – oft nicht minder talentierte und integre Künstler sind. Das gilt insbesondere für Jerry Goldsmith, der für „Chinatown“ in Windeseile einen Score schrieb, der das Original von Plilippe Labro ersetzte und nach Meinung sämtlicher Beteiligten den Film rettete. Das dritte prominente Beispiel ist in Frankfurt hingegen vertreten: „2001 – A Space Odyssey“. Kubrick lehnte Alex North' klassisch sinfonische Partitur ab und verlegte sich fortan darauf, seine Filme mit bereits existierenden Stücken zu ersetzen. Das funktioniert in dem Science-Fiction-Epos ziemlich gut, zumal mit dem doppelte Strauss (Johann und Richard). Bedauern darf man es schon, denn das Zusammenspiel von North' Musik und Saul Bass' Vorspanngestaltung stellt für mich den Höhepunkt von Kubricks Werk dar.

Zur Eröffnung läuft heute Abend Jules Dassins exzellenter London-Film-Noir „Night and the City“, für den es zwei alternative Scores gibt, den britischen von Benjamin Frankel und den us-amerikanischen vom noir-erprobten Franz Waxman. Diese transatlantische Schicksal ereilte auch Goldsmith bei „Legend“, den wir in Europa hören konnten, während das US-Publikum mit Tangerine Dream abgespeist wurde. In Frankfurt laufen beide Fassung, jeweils mit Einführungen, wie alle Titel der Reihe. Im Fall von „Alien“ (vom selben wankelmütigen Regisseur, Ridley Scott - aber oft sind auch die Produzenten verantwortlich) musste Goldsmith sich selbst überschreiben und baute in die neue Partitur bezeichnenderweise Passagen aus seiner Vertonung von „Freud“ ein.

Das Trüffelschwein-Kollektiv hat etliche überraschende Beispiele ausgegraben. An "The Man who loved Cat Dancing" habe ich seit Jahren nicht mehr gedacht und hatte fast vergessen, dass Hitchcock ursprünglich Henry Mancini für „Frenzy“ verpflichtet hatte und dann doch Ron Goodwin vorzog. Einen massentauglicheren Komponisten als Mancini kann man sich kaum vorstellen, aber wahrscheinlich versprach Hitch sich von Goodwin mehr britisches Flair. Meist läuft das Replacement business auf eine Generationenfrage hinaus: der klassische Stil wird - wie bei „Torn Curtain“ - durch einen Pop-affineren ersetzt. Walter Hills „Yojimbo“-Remake „Last Man Standing“ ist hier ein Sonderfall, da verwarf der Regisseur die Partitur von Elmer Bernstein, dem Westernkomponisten schlechthin, zugunsten einer Musik seines Stammkomponisten Ry Cooder. Welcher Teufel Sam Peckinpah geritten hat, seinen kongenialen Partner Jerry Fielding („The Wild Bunch“, „Straw Dogs“, „Junior Bonner“) bei „The Getaway“ durch Quiny Jones zu ersetzen, ist mir bis heute ein Rätsel. Bei aller Bewunderung für den unlängst verstorbenen Jones (dem an dieser Stelle bislang nicht nachgerufen wurde, was aber noch kommen kann) – die Mundharmonika von Toots Thielemans klingt in meinen Ohren wie Schweinegrunzen. Ein paar Jahre später vertrug sich das Gespann wieder und arbeitete bei „Alfredo Garcia“ und „The Killer Elite“ erneut zusammen. So kann es manchmal auch zugehen im Verdrängungsgeschäft. Aber die Kränkung saß bestimmt immer noch tief.

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