Alles, alles ist besser als die Angst

Er liebte diese Insel, die wie ein Juwel im Mittelmeer liegt und einlädt, ihre Schönheit und ihren Zauber zu entdecken. Sizilien, fand Damiano Damiani, sei ein warmer, großzügiger Flecken Erde, der jeden Besucher beim Vornamen nennt. Kaum vorstellbar, dass er von dem selben Sizilien sprach, in dem er so viele Mafia-Film drehte. Ganz zu schweigen von jenem, in dem Franca Viola lebt.

Heute läuft »Primadonna – Das Mädchen von morgen«, der von ihrer Entführung und dem Prozess gegen ihren Vergewaltiger handelt, in ausgewählten Kinos an. Wie Sie im aktuellen Heft lesen können, hat er mich stark beeindruckt. Bei den Recherchen zu ihrem Fall entdeckte ich, dass auch Damiani einen Film darüber gedreht hat. Das war 1969, als die Geschehnisse nicht einmal drei Jahre zurücklagen. Er heißt »La moglie piú bella« (eigentlich: Die schönste Ehefrau), der seinerzeit bei uns unter dem Titel »Recht und Leidenschaft« herauskam. Die Hauptrolle spielt Ornella Muti, die hier im zarten Alter von 14 Jahren ihr Filmdebüt gab. Auf Youtube gibt es ihn in fragwürdiger Qualität (gestauchte Bilder) und einer ebensolchen US-Synchronfassung zu sehen. Ich empfehle stattdessen die Blu-ray, die Donaufilm vor sieben Jahren als »Die schönste Frau – Recht und Leidenschaft« herausbrachte. In dieser Ausgabe stimmt nicht nur das Format, auch das Bonusmaterial ist aufschlussreich – wenngleich die Interviews mit dem Regisseur und seinem Team zuweilen etwas prosaisch anmuten. Wenn man ihn mit Marta Savinas aktueller Interpretation vergleicht, kommt man erst nach einer ganzen Weile darauf, dass sie die gleiche Geschichte erzählen.

Beide Filme nehmen sich gegenüber den wahren Ereignisse gewisse Freiheiten heraus. Die Charaktere tragen, zweifellos aus juristischen Gründen, jeweils andere Namen. Damianis Film beginnt mit einer Art Haftungsausschluss, der jegliche Ähnlichkeit mit realen Ereignissen abstreitet. Bei ihm stehen die Eltern der Vergewaltigten nicht zu ihrer Tochter, haben erst am Ende ein dramaturgisch entscheidendes Einsehen. Savina hingegen hält sich enger an die realen Verhältnisse, bei ihr unterstützen sie sie von Anfang an. »Die schönste Frau« ist Damianis zweiter Mafia-Film nach »Der Tag der Eule«, der ein Jahr zuvor der größte einheimische Kassenmagnet gewesen war. Dank der weiblichen Perspektive schert er ein wenig aus dem Korpus seiner Enthüllungsthriller heraus, dem er im folgenden Jahrzehnt mit »Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauerte« und »Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?« Glanzlichter aufsetzte. Hier kommen noch Elemente des Melodrams ins Spiel; ein Genre, in dem Damiani in den 1960ern eine sachte Meisterschaft erlangte. Visuell ist der Film jedoch weitgehend der Ikonographie des Mafia-Films verpflichtet, angefangen mit der Totalen einer Straße, die er später wiederholt aufgreift und mit der er ein urbanes Ambiente etabliert. Savina evoziert eine ungleich ländlichere Welt. Darin werden die Enge und die dörflichen Hierarchien greifbarer. (Ein zentrales Motiv - den Balkon, von dem der Mafioso huldvoll die Bevölkerung grüßt – konnte ich in der kurzen Kritik nicht mehr unterbringen.) In beiden Filmen sind die Eltern Bauern (noch ein schönes Element, für das in der Kritik kein Platz war: die Freude, mit der die Heldin dem Vater bei der Feldarbeit hilft), aber Damiani braucht einige Zeit, bis er in pastoralere Gefilde vorstößt. »Primadonna« wirkt organischer, geschlossener; er ist übersichtlicher. Damiani und seine Co-Autoren bringen demgegenüber eine Kaskade der Komplikationen ins Rollen. Sie konnten darauf vertrauen, dass das Publikum die Fakten noch kannte.

Francesca (Muti) ist wirklich in den Mafioso Vito (Alessio Orano, dessen blaue Augen fast so schön sind wie ihre) verliebt, und sie bleibt es bis zum Ende. Die blutjunge Muti spielt diese Zerrissenheit großartig, man hat den Eindruck, sie reift von Szene zu Szene. Vito ist ein überheblicher, ehrgeiziger Schnösel - noch nicht einmal Sohn, sondern nur Neffe eines gefürchteten Bosses. Die örtliche Mafia hat ohnehin schon bessere Zeiten gesehen, sie sieht ihre Macht allmählich schwinden. Anfangs stellt sich ein Clanchef der Polizei, die hier eine interessante Agenda verfolgt. Gleichviel, tut Vito so, als der Ort sein Privatbesitz. Er umwirbt die Schöne mit verächtlicher Galanterie, von Liebe ist nicht viel die Rede, die Zwei streiten ohne Unterlass. Francesca entwickelt Stolz und Selbstbewusstsein, sie sieht nicht ein, dass eine Frau immer den Blick senken muss. Vito will keine Frau heiraten, die Bedingungen stellt. Seine Vorstellung von weiblicher Tugend ist archaisch und doppelzüngig.

Die "Liebesentführung" ist reichlich knifflig eingefädelt, die Vergewaltigung findet hinter verschlossenen Türen statt – die Hauptdarstellerin war schließlich minderjährig -, wird aber öffentlich. Das folgende "Versöhnungsbankett" filmt Damiani als ein sizilianisches Bestiarium, das die widerstrebende Braut entschlossen verlässt. Damit gibt sie Vito der Lächerlichkeit preis. Nun sinnt er auf Rache für die Kränkung. Was in »Primadonna« als ein barbarisches, mittelalterliches Ritual erscheint, ist in »Die schönste Frau« als ein Terrain zeitgenössischer Machtdemonstration inszeniert. Die Kirche spielt bei der Verschwörung gegen das Opfer, anders als in Savinas Film, nur eine untergeordnete Rolle. Dafür mischt sich ein verfeindeter Clan ein, der Francesca als Lockvogel benutzen will, um Vito auszuschalten. Die Carabinieri nehmen Francescas furchtlose Anzeige zunächst nicht ernst ("Nicht einmal deine Eltern stehen zu dir." - "Das heißt wohl, dass ich Recht habe!"), sehen bald jedoch darin eine Chance, den Mafioso dingfest zu machen. Es ist eine ungemein rührende, weil ganz ernsthafte Geste, als sie dem Polizeioffizier die Hand entgegenstreckt – halb zum Dank, halb als Auftrag.

Mithin eine reichlich verworrene Gemengelage, zu der die verfemte Francesca beiträgt, in dem sie zunehmend fahrlässig agiert. Recht eigentlich inszeniert Damiani einen sizilianischen Gegenwartswestern voller Drohgebärden und Duelle. Er ist ein Regisseur, der nicht unbedingt auf die Idee käme, aus der Ästhetik seiner Zeit auszuscheren. Alles in allem ein Pessimist, der sich gern eines Besseren belehren ließe. "Alles, alles ist besser als die Angst", beschwört Francesca die Eltern. Sie ist allen voraus. Ihre Emanzipationsgeschichte geht deshalb nicht verloren. Den Prozess spart Damiani aus. Er kennt die Insel gut genug, um zu wissen, dass auf ihr das Gesetz der Straße herrscht.

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