Wie produziert man Autoren?

Es war nicht so leicht, mich für einen Einstieg zu diesem Eintrag zu entscheiden. Sollte er mit David Katz beginnen, dem der Name für sein neues Unternehmen einfiel, als er auf der Autostrada 24 von Rom nach Teramo fuhr? Oder mit Margaret Menegoz, die bei jedem Besuch in Berlin Rollmops einkaufte?

Bleiben wir erst einmal bei Menegoz, die vor knapp drei Wochen im Alter von 83 Jahren starb. Die Leitung von "Les Films du Losange" hatte sie erst drei Jahre vorher endgültig an ihre Nachfolger übergeben. Macht gab sie nicht gern aus der Hand: Fast ein halbes Jahrhundert bestimmte sie über das ökonomische und künstlerische Geschick der Produktionsfirma, die Éric Rohmer und Barbet Schroeder 1962 gegründet hatte.n Als Menegoz Mitte der 1970er zu ihnen stieß, wurde das Logo mit der Raute zu einem Markenzeichen weltweit. Bis dahin waren dort nur die Filme der Gründer produziert worden; ihr lag daran, das Portfolio zu erweitern. Nun realisierten auch Marguerite Duras, Jacques Rivette und später der von Rohmer entdeckte Jean-Claude Brisseau ihre Filme dort. Als Co-Produzent war die Firma mitverantwortlich für Arbeiten von Fassbinder, Edgar Reitz, Margarethe von Trotta, Wenders, Wajda, Agniezka Holland und später Christian Petzold; die Zusammenarbeit mit Michael Haneke wurde von Goldnen Palmen und Oscars gekrönt. Als Menegoz 2021 ihren Posten abgab, umfasste der Katalog 325 Titel. Dank ihr wurden Les Films du Losange auch ein wichtiger Verleih, der beispielsweise ab »Breaking the waves« sämtliche Filme von Lars van Trier vertrieb.

Menegoz brachte in die Büros in der Avenue Pierre 1er de Serbie ihre Erfahrung als Regie- und Kamera-Assistentin sowie Editorin mit. Eine Produzentin muss von allem etwas verstehen. Sie war als Feuerwehr zur Stelle, wenn es am Drehort brenzlig wurde. Lars-Olav Beier und ich interviewten sie bei zwei Berlinale-Besuchen Anfang der 1990er Jahre für unser Buch "Teamwork in der Traumfabrik", eine Sammlung von Werkstattgesprächen. Ihr Deutsch war perfekt, sie war in Budapest als Tochter einer Schwäbin geboren und hatte in Stuttgart studiert. Damals stellte sie uns das besondere Konzept ihrer "Autorenfirma" vor. Jeder Regisseur besaß dort ein eigenes Konto, auf das er mit den Einnahmen seiner Filme einzahlte. Wenn diese nicht ausreichten – oder ein neuer Autor hinzukam -, musste sie Gelder bei Fördergremien und dem Fernsehen auftreiben. Zu ihren Prinzipien gehörte, nie Geld auszugeben, das sie nicht hatte. Von Vorverkäufen ins Ausland hielt sie nichts, potenzielle Käufer bekamen erst den fertigen Film zu sehen. Rohmer war ja notorisch sparsam, er drehte auf 16mm und mit einem Team, das nie aus mehr als acht Leuten bestand. Sie legte Wert darauf, Teammitglieder frühzeitig zu engagieren, denn Vorbereitungszeit war nicht so teuer wie Drehzeit. Ihr Faible für Rollmops, von dem sie mir einmal vor einer Radiosendung erzählte, passte gut zur Sparsamkeit. Sie hätte ja auch Extravaganteres heim nach Paris mitbringen können. Es amüsierte sie, dass ich im Gegenzug immer Meersalzbutter aus Noirmoutier kaufte, die man mittlerweile allerdings auch hier bekommt.

Für sie war klar, dass der Impuls für einen Film stets von dem Wunsch des Autors/Regisseurs ausgehen musste, eine Geschichte zu erzählen. Zu Les Films du Losange wäre nie ein Szenarist mit einem Projekt gekommen, für das man dann einen geeigneten Regisseur hätte suchen müssen. Das war und ist in Hollywood anders. Dort haben Regisseure zudem praktisch nie das Recht am Negativ, das die Autoren ihrer Firma selbstverständlich behielten. Neben der ökonomischen Umsicht zeichnete sie eine staunenswerte Treue aus. Ich begegnete ihr später gelegentlich, als sie Präsidentin von UNIFRANCE war, der französischen Exportunion. Einmal kam sie auf dieses Thema zu sprechen. "Man kann sich von einem Autor trennen, wenn er Erfolg hat", sagte sie, "aber nie, wenn er einen Misserfolg erleidet." Als Beispiel führte sie Haneke an, dessen vorangegangene Filme, insbesondere »Funny Games«, sie eigentlich brutal und unerträglich fand. Ihre Zusammenarbeit begann mit »Wolfzeit«, der ein kapitaler Flop war. Es kam aber gar nicht infrage, ihn aufzugeben. Menegoz war zu nüchtern, um eine Hasardeurin zu sein, aber der Erfolg eines Films besaß für sie stets ein Moment des Magischen. Oft genug hatte sie das Gegenteil erlebt, da schienen alle Zutaten beisammen zu sein, aber wie gut ein Film wirklich ist, stellte sich erst bei der ersten Vorführung heraus.

Die amerikanische Produktionsfirma A24 gibt es erst seit gut einem Jahrzehnt, aber sie ist längst ein ebenso schimmerndes Gütesiegel geworden. Der Autobahnfahrer Daniel Katz und seine Partner David Frankel und John Hodges haben sie 2012 in Manhattan gegründet und verfolgen eine Strategie der Zweigleisigkeit als Produzenten und Verleiher. Ihr Einstieg ließ sich prächtig an mit Titeln wie »A Most Violent Year«. Inzwischen ist A24 ein veritabler Oscar-Sammler (Moonlight, Everything Everywhere All at Once, The Whale, The Zone of Interest etc.) In diesem Monat widmete das Berliner Babylon dem Mini-Major eine Retrospektive. Aber ihren Filmen ist ohnehin nicht zu entkommen. Gefühlt stammt jeder zweite US-Independent, den man im Kino sieht, aus dieser Schmiede – und meist läuft mindestens ein Trailer im Vorprogramm, der einen neuen Titel bewirbt. Mir ist es gerade vor zwei Wochen so ergangen, als ich mir »Love Lies Bleeding« anschaute und davor auf »I Saw the TV Glow« eingestimmt wurde. Der erlebt derzeit eine Art limited Run, läuft offenbar nur eine Woche in Berlin, bevor er dann auf einem Streamingdienst sein Publikum suchen muss. A24 deckt also das ganze Spektrum aktueller Vertriebsformen ab, hat fürs Fernsehen zum Beispiel »Euphoria« und »Irma Vep« produziert und verfügt über glänzende Beziehungen zu Apple TV, Prime und Konsorten. Eine echte Zeitgeistfirma.

Über das Selbstverständnis der Gründer weiß ich wenig, aber ihre Firmenpolitik scheint den Tugenden verwandt, die Margaret Menegoz beschwor: wirtschaftliche Vorsicht (die teuerste Produktion bislang, »Civil War«, kostete 50 Millionen Dollars), Intuition für Talente und Treue. Die Firma ist ein großer Ermöglicher, der Autoren wie Ari Aster, Robert Eggers, David Lowery, Celine Song und viele mehr förderliche Freiräume schafft. Wen sie einmal entdeckt hat, den lässt sie nicht so leicht gehen. Sie hält auch über ökonomische Wechselfälle an ihnen fest. Ti West konnte dank des Langmuts der Firma aus X eine Trilogie (Pearl MaXXXine) entwickeln. Wenngleich Eggers sein „Nosferatu“-Remake anderswo realisiert hat und bei Focus Features herausbringt, sind neue Titel von Aster; Lowery und anderen bereits angekündigt. Auch für alte Hasen ist A24 ein attraktiver Partner. Joel Coen hat mit ihnen »The Tragedy of Macbeth« gemacht und sein Bruder Ethan eine Dokumentation über Jerry Lee Lewis; Spike Lee produziert sein Remake von Kurosawas »High and Low« (Zwischen Himmel und Hölle) mit der Firma. Als Co-Produzent (Aftersun) und Verleih schaut A24 über den Tellerrand hinaus (namentlich nach Großbritannien), hat beispielsweise die letzten drei Filme von Joanna Hogg herausgebracht oder den fabelhaften »In Fabric« (Das blutrote Kleid) von Peter Strickland. Demnächst startet in den USA »Architecton« von Victor Kossakovsky, den sie mitproduzierte.

Gibt es einen Hausstil? Vielleicht eher einen Geschmack, der nicht nur smart, sondern klug ist. Ich muss zuweilen ans New Hollywood denken, als "Anders" ein eigenes Genre wurde. Thematisch lassen sich in dem Portfolio zwar vage Tendenzen ausmachen – auf dem Terrain des Horrorfilms ist die Firma eine stolze Konkurrenz für Blumhouse. Aber eigentlich ist A24 everywhere all at once. Ihre Produktionen begegnen aktuellen Klimas in vielen Facetten; sie sind entschieden heutig. Obwohl Midsommar, The Witch und The Lighthous je etwas wuchtig Archaisches eignet, stellen sie an das Publikum moderne Herausforderungen. Sie fallen sie nicht aus der, sondern in die Zeit. So erkläre ich mir auch jenseits der Italienreise den Firmennamen. Mit A steht man im Branchenbuch ganz vorn - und mit 24 signalisiert man, zu jeder Zeit und Stunde ansprechbar zu sein.

 

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