Welten ohne Himmel

Was für eine besondere Arbeitswelt der Bergbau ist, zeigt sich schon darin, dass er über einen Wortschatz verfügt, der reich und eigentümlich ist. Es gibt Begriffe und Redewendungen, die einzig ihm angehören, beispielsweise der Steiger oder der Bergmannsgruß "Glück auf!" Zugleich erhalten alltägliche Vokabeln in diesem semantischen Paralleluniversum einen anderen Klang, etwa Ader, Hütte, Kumpel, Stollen und natürlich die Zeche.

Die Zeit gerät zu einer topographischen Kategorie: Bodenschätze werden über oder unter Tage abgebaut. Auch die Witterung gewinnt ungewohnte Konnotationen. Man denke nur an das Schlagende Wetter, nach dem(eigentlich denen) das Zeughauskino in Berlin seine Reihe über Bergbau im internationalen Kino benannt hat. (https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihe/schlagende-wetter/ ). So lautet übrigens auch der ursprüngliche Titel, unter dem die Fox 1950 John Fords »How Green was my Valley« (1941) in Westdeutschland herausbrachte. Seinerzeit konnte der Verleih noch darauf vertrauen, dass diese Bezeichnung zum allgemeinen Wortschatz gehört, während sie heute entlegen, fast exotisch klingt. Ich muss gestehen, dass ich von Schlagwetter erstmals im Zusammenhang mit John Fords zerrissenem Heimatfilm hörte. Dabei habe ich meine Kindheit und Jugend gar nicht weit vom Ruhrgebiet verbracht habe, wo die Schlote damals noch so mächtig rauchten, dass man den Himmel kaum zu sehen bekam. Auch wenn dort ein grundlegender Strukturwandel stattgefunden hat und man wieder (relativ) reine Luft atmen kann, ist der Bergbau weltweit mitnichten obsolet geworden.

So umfasst das Programm, das Patrick Holzapfel umtriebig und -sichtig kuratiert hat, nicht nur Klassiker wie »Borinage« (1934) von Henri Storck & Joris Ivens, sondern greift auch ins zumal asiatische Gegenwartskino (Lav Diaz u. a.) aus. Ich bin neugierig auf »Otoshi-ana« (Pitfall, 1962) von dem unberechenbaren Hiroshi Teshigara. Die Reihe läuft bis zum 13. September und wird am Freitagabend (23. 8.) mit Barbara Kopples unverhofftem Oscargewinner »Harlan County, USA« (1976) eröffnet. Damit ist zugleich die eminent politisch-soziologische Ausrichtung des Programms besiegelt. Kopple dokumentiert den epochalen Streik von Minenarbeitern in Kentucky. Bei der Arbeit sieht man sie nur kurz zu Beginn, einer klaustrophobischen Tätigkeit, die sie weitgehend kriechend und auf Knien ausüben und die ihre Gesundheit massiv bedroht. "Every other day, somebody was dying" heißt es einmal, wobei die häufigste Todesursache wohl die Staublunge ist (was das Unternehmen Duke Power dreist bestreitet). Die Frauen verabschieden ihre Männer morgens nicht mit "Have a nice day", sondern "Have a safe day". Kopple interessiert sich für die Gemeinschaft, die sich während des Arbeitskampfes noch einmal neu formiert. Es findet, damit ist ein kardinales Thema der Reihe etabliert, eben nicht nur eine Ausbeutung der Bodenschätze statt. Das Motiv verbindet sich in der Folge auch mit post-kolonialen Diskursen.

Wie dieses Gewerbe oft mit einer Entwurzelung einhergeht, zeigt Luciano Emmer in »La Ragazza in Vetrina« (Mädchen im Schaufenster, 1961), der von italienischen Gastarbeitern handelt, darunter Lino Ventura als altem Hasen und dem Neuling Bernard Fresson, die sich in den Niederlanden verdingen. Ihre schwere, gefährliche Arbeit nimmt das erste Drittel ein und liegt dann als bedrängender Schatten über dem Wochenende, an dem sich die Zwei im Rotlichtviertel von Amsterdam und am Meer vergnügen wollen. Ein eingangs achtsam beobachtetes Detail sind die Kleiderbündel der Arbeiter, die an Seilen emporgezogen werden. Die Fahrt in die Grube selbst hat Emmer magistral gefilmt - als subjektive Fahrt der Bergleute, die beklommen zuschauen, wie das Tageslicht ein immer kleinerer Fleck wird. Ihre Anspannung ist berechtigt, denn alsbald stürzt ihr Stollen ein und sie müssen tagelang auf Rettung warten. Mit rußschwarzen Gesichtern, die fest zur filmischen Ikonografie der Entmenschlichung dieses Berufs gehören, kehren sie endlich ans Tageslicht zurück. Der robuste Lino ist an dergleichen gewöhnt, den jungen Fresson hingegen verfolgt das Grubenunglück bis in seine Träume. Der Abbau ist ein Frevel an der Natur, der sich rächt.

In »How Green was my Valley« entfaltet Ford das Panorama eines walisischen Gemeinwesens, dessen Alltag bis in die letzte Regung vom Bergbau bestimmt wird. Es ist ein ganzheitliches Leben, voller Härten und kargem Lohn, der gleichwohl stolz der Hausherrin Sara Allgood ausgehändigt wird. Den Nachbarn steht die Tür jederzeit offen, man stützt einander und pflegt ein rustikales Brauchtum. Die sozialen Konflikte verlaufen geradewegs durch die Familie. Der Grubenbesitzer ist keine abstrakte Gestalt, man begegnet ihm beinahe auf Augenhöhe, als sein Sohn beim Patriarchen Donald Crisp um die Hand der Tochter Maureen O'Hara anhalten will. Die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich, die Löhne sollen erneut gekürzt werden. Eine Gewerkschaft wird mit Gottes Segen (oder doch zumindest dem des freigeistigen Pastors Walter Pidgeon) gegründet. Einige der Söhne wollen ihr Glück in Übersee versuchen, in Australien und Amerika; der jüngste (Roddy McDowall) soll als erstes Familienmitglied die Schule besuchen, um einmal Anwalt zu werden. Er entscheidet sich für das Leben, das die Familie seit Generationen führt. Ford liebt und versteht diese Charaktere mit ganzem Herzen. Sein Film birst vor Nostalgie, aber er versöhnt nicht.

Das Tal wird nicht grün bleiben. Die Zerstörung der Idylle erzählt Ford nicht als Naturgesetz. Er ist ein Konservativer: einer, der bewahren will. Auf einem Spaziergang zeigt Crisp seinem Jüngsten, wie sich die Landschaft verändert. Der Grubenschutt legt sich über sie und taucht sie in tiefes Schwarz; auf den Gesichtern Menschen liegt es seit jeher. An diese wehmütige Ortsbegehung muss ich in den letzten Tagen immer wieder denken, denn unweit von meinem Elternhaus ist eine Tongrube geplant. Ihre Ausmaße sind ungeheuer – für sie sollen geschlagene 20 Hektar Ackerland verschwinden – und für das Unternehmen, das in den nächsten Jahrzehnten dort Tonschiefer abbauen will, würde das ein Bombengeschäft. Eine Bürgerinitiative hat sich gegründet, Naturschützer sind alarmiert, die Politik beschwichtigt. Aber Sorge in der Nachbarschaft ist groß, dass sich die Landschaft unwiderruflich verändern wird. Wir lieben unser Tal, wie es ist.

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