Vorwärts in die Vergangenheit

„Gladiator II“ ließ lange auf sich warten. Nicht nur, dass 25 Jahre seit dem Original verstrichen sind. Auch aktuell erscheint Ridley Scotts Kolossalfilm etwas unpünktlich, denn er hätte gut in den US-Wahlkampf gepasst. Das Make-Rome-Great-Again-Pathos, das in seinem letzten Akt anschwillt, dürfte ganz nach dem Geschmack des republikanischen Kandidaten sein.

Auch die frenetische Produktivität des Regisseurs, der immerhin sieben, acht Jahre älter als er ist, müsste ihm imponieren. In Erwartung eines erdrutschartigen Sieges an den Kinokassen plant der bereits den dritten Teil. Da ist Scott gegenüber US-Präsidenten eindeutig im Vorteil, denen prinzipiell nur zwei Amtszeiten erlaubt sind. Ob der zukünftige Amtsinhaber, auch er ein Wiederholungstäter, wohl neidisch wird? Vom ersten Mal haben wir noch in schlimmster Erinnerung, wie oft ihm die Verfassung ein Dorn im Auge war. Wer weiß, was er ab Januar mit ihr anstellen wird. Aber jetzt, nachdem er bei der Nominierung seines Kabinetts lauter Böcke zu Gärtnern gemacht hat, bliebe ihm Muße, ins Kino zu gehen und zu studieren, wie man eine Fortsetzung in Szene setzt.

Ich nehme an, dass er dergleichen auch schon in den 1990ern tat, als eine Sturzflut von Präsidentenfilmen über das Publikum hereinbrach. Sein Verhältnis zur Fiktion ist ja extrem innig. Ob er aus ihr Lehren zog, ist indes fraglich. Aber wie man von Konjunkturen profitiert, war dem damaligen Immobilienmogul ja nicht fremd. Dass die damalige Welle einherging mit der Clinton-Administration, die das vergleichsweise schlecht bezahlte Amt ziemlich sexy wirken ließ, wird ihn erst später gestört haben. Der Umstand hingegen, dass in zahlreichen Filmen die First Lady sterben musste – ein früher Reflex der zwiespältigen Gefühle, die die Wähler gegenüber Hillary hegten – wird ihm nachträglich ein Fest gewesen sein.

Dass die Welle zu einer regelrechten Inflation ausartete, müsste er allerdings als Warnung nehmen. In welchen Rollen wir damals US-Präsidenten aber auch erleben mussten: als wehrhafte Vietnam-Veteranen, die die Air Force One von Terroristen befreien; als Super-Patrioten, die Aliens die Stirn boten oder von ihnen genasführt wurden; als Mörder, die den Tod ihrer Geliebten vertuschen mussten; als Witwer auf Freiersfüßen und, das war der sittliche Tiefpunkt, als Müßiggänger, die mit dem First Dog im Oval Office herumtollten. Am Ende des Jahrzehnts war das Weiße Haus gründlich entzaubert durch Dauerpräsenz auf den Leinwänden. Das Amt hatte schmerzlich an Aura verloren. Aus Sicht des zukünftigen Amtsinhaber müsste dieser Filmkorpus zwei Haken haben: Erstens erwiesen sich negativ gezeichnete Präsidenten als Kassengift - und die Machthaber zweitens nicht selten als ohnmächtig, wurden gebremst vom Kongress, eigenen Skrupeln oder Zweifeln und sonstigen Widrigkeiten.

Stenhal mag zwar beklagt haben, dass nichts so phantasiefeindlich sei wie die Regierung der Vereinigten Staaten. Das Kino wusste es von Anfang an besser: In einem Land mit einer langen Tradition der Präsidentenmorde stellt das höchste Staatsamt ein erhebliches dramatisches Potenzial da. Das gegenseitige Umwerben von realen Amtsinhabern und der Filmmetropole reicht zurück zu Teddy Roosevelt, der den Angriff auf San Juan Hill für die Wochenschau nachstellen ließ. Sein Cousin Franklin Delano wiederum erhielt in Hollywood tatkräftige Unterstützung für seinen New Deal. In dieser Zeit entstand eine Kuriosität, an der der triumphierende Republikaner jetzt Maß nehmen könnte fürs Durchregieren: „Gabriel over the White House“. Es ist wahrscheinlich der einzige US-Film, der für dieses Amt eine Allmachtsphantasie formuliert. Regie führte Gregory La Cava, von dem man eigentlich erfreulichere Spielarten der Exzentrik, namentlich Screwball comedies, kennt. Cosmopolitan Pictures, die Firma von William Randolph Hearst, produzierte ihn und MGM brachten ihn im Frühjahr 1933 heraus. Laut Wikipedia war es einer der größten Kassenerfolge des Jahres und das Studio zögerte, den Film auch in Nazideutschland unter dem Titel „Zwischen heut und morgen“ herauszubringen.

Ich bezweifle (und hoffe), dass Donald Trump ihn je gesehen hat, obwohl bereits hier das geflügelte Wort vom „Puerto Rican garbage“ fällt. Für die zahlreichen Evangelikalen jedoch, die ihn als Heilsbringer feiern, hält er manche Erleuchtung  bereit. Walter Huston spielt den frischgewählten Judson Hammond, der eingangs als korrupter, zynischer Politiker gezeichnet wird. Praktisch die gesamte politische Kaste erscheint als ein Haufen jovialer Spötter, der nicht genug Scherze über die anstehenden Aufgaben reißen kann. Als Hammonds kleiner Neffe gefragt wird, was das wichtigste Wahlversprechen des Onkels ist, antwortet er keck: „To make all people rich again!“ Ein krachende Lacher ist garantiert. Am Ende der Inaugurationsfeier beschleichen Hammond kurz Zweifel – er sorgt sich, die Wähler könnten bald merken, dass er kaum ein Versprechen halten wird. Ein Vertrauter beschwichtigt ihn: Dann sei seine Amtszeit schon fast vorüber.

Hammond pflegt einen ausgesprochen ruppigen Regierungsstil („He didn't resign, I fired him!“) und scheint mit Trump auch das Faible für Fast Food gemein zu haben, auf jeden Fall für Marshmallows, die er in der Schreibtischschublade bunkert. Sein Gebaren wird den großen Aufgaben, vor denen er steht, auch sonst nicht gerecht. La Cava fühlt den Puls der Depressionszeit auf ziemlich reißerische Weise. Eine millionenstarke Armee von Arbeitslosen droht, auf Washington zu marschieren. In diesem Moment hat der Film aber etwas Anderes mit Hammond vor: Ihm erscheint der Erzengel Gabriel (ganz dezent, mit einem Lufthauch), der ihn zum Einlenken bringt. Über Nacht wird der Zyniker zum Idealisten, der seine Vorhaben mit eiserner Hand durchsetzen wird. Seine Entourage begreift überraschend flink, was passiert ist: „If this is madness, it's a divine madness!“

Hammond bricht unverzüglich mit allen demokratischen Gepflogenheiten, entlässt sein Kabinett, löst den Kongress auf und kontert ein angestrengtes Amtsenthebungsverfahren, in dem er das Kriegsrecht verhängt. Hammond, schon davor forsch mediengewandt, zieht die Massen auf seine Seit. Amerika muss rehabilitiert werden, und ihr seid meine Soldaten: der New Deal als Militäroperation. Als Erstes werden Gangsterbanden mit Panzern belagert und sodann abgeschoben. Nachdem er den politischen Apparat der USA vor vollendete Tatsachen gestellt hat, verwirklicht er seine außenpolitischen Visionen. Er nimmt die Weltgemeinschaft wegen ihrer Militärausgaben ins Gebet. Das ist allerdings eine tollkühne Volte, die Trump schwerlich aus Blaupause dienen wird: Er drängt sie, die Kosten drastisch zu senken, damit das Geld den hungernden Bürgern zugute kommt.

Die politischen Botschaften dieses zweifellos bizarrsten Hollywoodfilms der 1930er sind alles andere als kohärent, ein Sammelsurium rechter und linker, faschistischer und pazifistischer Ideen. Er zelebriert Hammonds Diktatur als eine Ein-Mann-Demokratie. Welcher Partei er angehört, darin weiht er das Publikum wohlweislich nicht ein. „Gabriel over the White House“ wäre eigentlich ein Stoff für Frank Capra gewesen, der progressive Überzeugungen gern mit autokratischen verknüpfte. Aber der war seinerzeit bei einem anderen Studio unter Vertrag, holte 1941 jedoch mit „Meet John Doe“ (Hier ist John Doe) gehörig auf. Hoffentlich das einzige Menetekel, das La Cavas Politphantasie bereithält.

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