Stadt ohne Illusionen

Der gestrige Eintrag sollte ursprünglich ganz anders beginnen: mit einem Exkurs, der "Die barfüßige Gräfin" in den Kontext einer ganzen Reihe von Filmen stellt, in denen die Traumfabrik sich selbst reflektiert. Joseph L. Mankiewicz war ja nicht der Erste, der mit der eigenen Branche ins Gericht ging, sondern nur der Geschwätzigste.

Er musste sich den ganzen Abscheu wohl einfach mal von der Seele schreiben. Der selbstgefällige Zug, den die Kritik an der Illusionsmaschinerie zusehends gewinnt, genierte ihn nicht. Mankiewicz hatte ein Faible dafür, eitle, spitzzüngige Spötter (siehe George Sanders in "Alles über Eva") zu seinem Sprachrohr zu machen. Der altgediente Zyniker Bogart kam ihm da gerade recht als writer-director Harry Dawes. Seine Schmähreden waren 1954 zweifellos riskant und mochten frisch wirken, heute sind sie längst selbst zum Klischee geronnen. Ich wünsche, der Film hätte sein Diktum "There's more to talking than just words" beherzigt, Aber den Rhythmus von "I remember when movies only had two dimensions, or only one dimension or sometimes no dimenson at all." finde ich allerdings immer noch witzig.

Der Korpus von Hollywoodfilmen über Hollywood war 1954 allerdings schon erklecklich angewachsen. Soviel zur Frische. Nach meiner Kenntnis hat bislang noch niemand dieses Phänomen mit den drei Anfechtungen in Verbindung gebracht, denen die Traumfabrik nach Ende des Weltkriegs ausgesetzt war. 1946 war noch das Rekordjahr schlechthin, nie wurden innerhalb von 12 Monaten so viele Kinokarten in den USA verkauft. Bald beginnt jedoch das Fernsehen, ein ernsthafter Konkurrent zu werden. Die Black List spaltete ab 1947 die Filmbranche und ein Jahr später zwang das "Paramount Decree", das Anti-Trust-Gesetz, die Studios sich von ihren Kinoketten zu trennen. Es hätte zweifellos näher gelegen, auf diese Krisen mit heiteren, affirmativen Filmen zu reagieren. Die gab es auch, angefangen mit »It's a Great Feeling« von 1949 (der bei uns nur im TV unter verschiedenen Titeln lief, zunächst mit Untertiteln in den dritten Programmen, dann in der Synchronfassung des ZDF als »Judy erobert Hollywood«), einem frühen Doris-Day-Musical, das zugleich als eine Leistungsschau für Warner Brothers fungiert. Die größten Stars und prominentesten Regisseure geben sich ein Stelldichein, in der lahmen Schlusspointe tritt ein abgehalfterter Erroll Flynn auf, bevor die zeitweilig entzauberte Judy endgültig Karriere machen darf. Mit »Singin' in the Rain« (Du sollst mein Glücksstern sein) erreicht dieser kleine Strang – mir scheint, zwischendurch spielt auch ein nautisches Musical mit Esther Williams im Filmgeschäft – 1952 seinen Höhepunkt. Der ist natürlich der Inbegriff des Optimismus und feiert munter den Fortschritt, den der Durchbruch des Tonfilms darstellt.

Parallel dazu findet eine enorme Verfinsterung statt. Billy Wilder beißt in »Sunset Boulevard« die Hand, die ihn füttert. Ihm gelingt nicht nur einer der düstersten Filme über Los Angeles, sondern der makaberste überhaupt. Man denke nur an das Gruselkabinett verblichener Stummfilmstars, das sich in Norma Desmonds Villa trifft. Wie mag sich erich von Stroheim gefühlt haben, der hier, zum Butler degradiert, das Scheitern seiner Regiekarriere rekapitulieren muss? Die bizarre Beisetzung von Normas Äffchen verbindet Wilders Abrechnung mit »Die barfüßige Gräfin« und »The Bad and the Beautiful« (Stadt der Illusionen) von Vincente Minnelli und dem Drehbuchautor Charles Schnee, deren Rahmenhandlung jeweils eine Beerdigung bildet. In Minellis Schlüsselfilm ist eine tiefe, gleichwohl befangene Skepsis gegenüber der Illusionsmaschinerie des Kinos zu spüren. Ihm gelingen verstörende Innenansichten, die bei allem Entlarvungsfuror letztlich dessen Mythen und Magie fortschreibt (hinreißend, wie er seine majestätischen Kamerafahrten zelebriert). Das Ende bleibt eine eisige Aussöhnung. Vom Niedergang eines Filmstars (Fred Astaire) erzählt Minnelli etwa zur gleichen Zeit, indes erheblich schwungvoller in »The Band Wagon« (Vorhang auf), der auf ein Comeback am Broadway hofft. Zuvor läuft ihm Ava Gardner den Rang ab, auf die eine große Menschenmenge am Zug wartet, die Astaire irrtümlich für seine eigenen Fans hält. Es gibt kaum einen schöneren, wahreren Film über künstlerische Schaffenskrisen als dieses Backstage-Musical.

Die Karriere des Drehbuchautors, den Bogart in »In a lonely place« von Nicholas Ray spielt, befindet sich tatsächlich im freien Fall. Seit dem Krieg hat er kleinen Hit mehr verbuchen können, und der ist schon seit fünf Jahren vorbei. Für Bogart ist das keine Einstimmung auf die Schwatzhaftigkeit der späteren Rolle bei Mankiewicz, sondern eine tour de force des authentischen Sarkasmus. So sinister und rabiat wurde Hollywood selten porträtiert: ein mörderischer Ort. Auch Robert Aldrich, der zur gleichen Generation wie Ray gehört, zeigt die Filmmetropole als einen Hort der Unbarmherzigkeit. "Failure is not permitted here", heißt es einmal in »The Big Knife« (Hollywood-Story) von 1955, wo Jack Palance einen ziemlich unwahrscheinlichen Star verkörpert, dessen labile Integrität zwischen Gewalt, überflüssigen Affären und erpresserischen Verträgen zerrieben wird. Zusammen mit George Cukors »Ein neuer Stern am Himmel«, dem noch immer besten Remake des Dauerbrenners »A Star is born«, bildet Aldrich' Messerstich das Schlusslicht dieser Serie filmischer Selbstbezichtigungen. Davor und danach gab es zwar zahlreiche weitere (zum Teil von einigen der genannten Regisseuren inszeniert), aber nie in dieser bezwingenden Dichte. In Cukors Film gewinnt die Asynchronität von Karrieren – der junge Star im Austieg, der alte im Niedergang – eine bezwingende, melodramatische Evidenz. Judy Garland spielte tapfer den ersten Part, James Mason furchtlos den zweiten. Cukor hätte gern Cary Grant für die Rolle gewonnen, mit dem er sich auch für ein Probelesen traf und beeindruckt war von der Tiefe und dem Nuancenreichtum, mit dem er den alkoholsüchtigen Norman Maine sprach. Beiden war jedoch klar, dass Grant sich nie eine solche Blöße geben würde. Mason ist unfassbar gut in der Rolle, er versteht Maine, seine Selbstzweifel, seine Angst, ausgebrannt zu sein, den Abscheu vor dem, was aus ihm geworden ist. Sein schmerzlichster Auftritt kommt, als seine Frau bei der Oscar-Verleihung ausgezeichnet wird und er betrunken die Zeremonie stört. Er beschämt die versammelte Hollywood-Aristokratie mit dem kläglichen Schauspiel, um eine Rolle betteln zu müssen. Kein Wunder, das Grant solche Angst vor dem Part hatte.

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